WISSENSWERTES

STAND: JANUAR 2024


DAS MÜNCHNER KINDL


15. JANUAR 2022

Kurzzusammenfassung: Münchner Künstler änderten so lange am Stadtwappen herum, bis unter der Kutte statt eines Mönchs ein fesches Mädel stand – das heutige Münchner Kindl.

Wenn man das Bild des „Münchner Kindls“, also der Figur innerhalb des Münchner Wap­pens, einmal verinnerlicht hat, findet man es, bei ein wenig Beobachtungsgabe, an den verschiedensten Stellen. Man findet es auf Fassaden, Brunnen, Turmspitzen, Brücken, Gul­ly­de­ckeln, Tram­bahn­wa­gen, Postkarten, Bierkrügen, Bierflaschen und Plakaten. Das Münch­ner Kindl ist allgegenwärtig in der Stadt. Man muss nur ein wenig suchen.


Es waren Mönche, die für den Ortsnamen von München Pate standen. Seit die Stadt im Jahr 1158 das Marktrecht erhielt, ist der Name „apud Munichen“ überliefert, was etwa „bei den Mönchen“ bedeutet. Die ursprünglich vom Kloster Schäftlarn kommenden Mönche wohn­ten zwi­schen den heu­ti­gen Münch­ner Stadt­tei­len Send­ling und Schwa­bing.

Das erste überlieferte Stadtsiegel aus dem Jahr 1239 zeigt den Kopf eines Mönchs mit übergezogener Kapuze in einem stilisierten Stadttor. Von 1304 an wird ein ste­hender Mönch mit Tonsur, Segenshand und Evan­ge­lienbuch dargestellt. Der Mönch im Dreiecksschild gilt seit 1304 als Wappensymbol der Stadt. Die er­ho­be­ne Rechte des Mönches wird als Seg­nungsgeste gedeutet. Das rote Buch in der Linken verweist auf das Eid­buch der Stadt (dazu passt die rechte Schwurhand) oder das Stadt­rechts­buch, das als rot gebundene Hand­schrift von 1365 überliefert ist. Es wird auch als Evangelienbuch interpretiert.

Auswahl an Stadtsiegeln und -wappen

Nach dem Ende des 3. Reichs gab es erst ab 1949 wieder ein kleines und ein großes Wappen. 1957 wurden beide Stadtwappen von dem Grafiker Eduard Ege neu gestaltet. Gleichzeitig fasste der Stadtrat am 17. De­zem­ber 1957 den Beschluss, das große Wappen nicht länger für den Dienstgebrauch, sondern nur mehr für be­son­dere re­prä­sentative Zwecke zu ver­wen­den.

Die Stadtwappen seit 1957

De facto gibt es zwei „Münchner Kindl“. Eines der beiden verkörpert in der Form eines Mön­ches das Stadtwappen. In dieser Funktion hält es in seiner linken Hand ein Evan­ge­lien­buch und formt seine rechte zum Segensgruß. Bei allen Belangen der Gemeinde Mün­chen kommt es in dieser korrekten Form zur Anwendung und ist damit das Ho­heits­zei­chen der stadtischen Ämter und Institute.


BUCHTIPP:
Das Münchner Kindl: Eine Wappenfigur geht ei­ge­ne Wege
Eine Ausstellung des Münchner Stadtmuseums zeigt, wie das „Münchner Kindl“ zu einer idealen Projektionsfigur wurde, vorzüglich geeignet für eine unendliche Zahl zum Teil recht amüsanter, mehr oder weniger künst­le­rischen Um­deu­tun­gen. Eine perfekte Re­kla­mefigur.

Parallel dazu gibt es ein zweites „Münchner Kindl“, das sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts aus dem Wappen gelöst hat und seitdem neben der offiziellen Wappenfigur ein recht be­wegtes Eigenleben führt. In dieser „Variante“ bewegt es sich ziemlich frei, greift zu Bier­krü­gen und Rettich und wird von jedermann für seine eigenen Zwecken ver­wen­det.

Bereits seit dem 16. Jahrhundert wurde das Stadt­wappen von ver­schie­denen Künst­lern immer wie­der verändert und anders dar­ge­stellt. Dabei wurde der Mönch mehr und mehr ver­kind­licht. Erst­mals 1727 ist die Be­zeich­nung Münchner Kindl nachgewiesen.

Fassade des Ruffinihauses

Die endgültige Verwandlung vom Mönch zum Kind vollzog sich 1847. Da ließ erstmals der Maler Kaspar Braun in einer Zeichnung einen Jungen aus dem Wappen steigen. Die echten Münchner wissen natürlich, dass das „Kindl“ ursprünglich gar kein Kind war. Im offiziellen Stadtwappen ist der Mönch auch heute nicht als Kind dargestellt.

Fassade des Alten Rathauses

Die Verwandlung ging weiter mit der Statue des „Münch­ner Kindl“ auf dem 85 m hohen Rathausturm, die ein­deu­tig Züge eines Kindes aufweist. Für dieses Münchner Kindl, das vom Schwabinger Bildhauer Anton Schmid geschaffen wurde, stand 1905 dessen neun­jäh­ri­ger Sohn Wiggerl Modell.

Auf der Spitze des Rathausturms

Im Zuge der aufblühenden Münchner Brauereiwirtschaft, bekommt das „Münchner Kindl“ um das Jahr 1880 den Bierkrug als neues Attribut in die Hand, dem 1887 der Rettich hinzukommt. Eigentlich wären Weißwurst und Brezn typischere Attribute als der „Radi“ gewesen, aber diese beiden erreichten erst später ihren Stel­len­wert als für München typische Begleiter des Bieres.



Kurz nach 1900 brach in München eine wahre Münchner-Kindl-Manie aus. Die Wappenfigur zierte immer mehr Logos. Es war eines der beliebtesten Postkartenmotive Münchens. Unter den vie­len Künstlern, die das „Münch­ner Kindl“ in vielen Alltagsszenen zeichneten, sind besonders Paul Otto Engelhard und Otto Obermeier hervorzuheben.

Das Münchner Kindl wurde immer mehr zum Aus­hän­geschild der Frem­den­ver­kehrs­wer­bung, meist in Ver­bin­dung mit Sehenswürdigkeiten der Stadt Mün­chen.

Interessant ist vor allem, wie un­ter­schiedlich das Kindl dargestellt wird. Paus­bäckig-en­gels­gleich aber auch noch ganz und gar nicht kindlich mit Tonsur, Wampe und kräftiger Nase.


Bis zum Ersten Weltkrieg dominierte das Münchner Kindl die Welt der Werbung, die Kindl-Kutte wurde zum beliebten Faschingskostüm. Komiker wie Karl Valentin und Liesl Karlstadt sowie Volkssänger wie Weiß Ferdl führten in ihrem Programm eine Münchner-Kindl-Nummer. Mehr als 130 Firmen benutzen die Figur in ihrer Reklame. Bei keinem offiziellen Anlass, bei keiner Festivität fehlt das „Münchner Kindl“

Nicht ganz einfach ist die Frage nach dem Geschlecht des Münchner Kindls. Ur­sprüng­lich steckte in der Mönchskutte eindeutig ein Mann. Nach der Verwandlung zum „Kindl“ lässt sich aber nicht eindeutig klären, ob es sich um einen Buben oder ein Mädchen handelt, man könnte sagen, er sei geschlechtsneutral. Letztlich wurde in den 1920er-Jahren aus einem Jungen eindeutig ein Mädchen.


Wer sucht wird fündig: Das Münchner Kindl ist überall anzutreffen, wie hier in einem Saal des Hofbräuhauses.


Beim Boxwerk, einer echten Münchner Sport-Institution, hätte man das Münchner Kindl noch am wengstens vermutet.


Seit 1938 wird regelmäßig eine junge Münchnerin vom Festring München e. V. (einem Verein, dessen Zweck und oberstes Ziel die Wahrung und Pflege des Münchner und bayerischen Brauchtums ist) zum „Münchner Kindl“ ernannt, meist aus dem Umfeld der Brauereien, Schausteller oder Wiesn-Wirte. Das Mädchen re­prä­sentiert dann für eine gewisse Zeit als eine Art Botschafterin die bayerische Landeshauptstadt. Be­rühm­te „Münchner Kindl“ waren beispielsweise die Pumuckl-Autorin Ellis Kaut im Jahr 1938 und die Mo­de­ra­torin Hannelore Fischer 1979/80.

Interview mit einem Münchner Kindl


Der Begriff löst sich immer mehr von der ursprünglichen Bedeutung und wird – zusammen mit dem Prädikat „waschecht“ – zur allgemeinen Bezeichnung für in München gebürtige Personen. Waschechte Münchner Kindl waren unter anderen Kaiserin Sissi und König Ludwig II., der Komponist Richard Strauss, die Maler Carl Spitz­weg und Franz Marc, die Schauspieler Fritz Wepper und Bully Herbig sowie der Startenor Jonas Kaufmann.


Die Wappenfigur der Stadt ist beliebt und allgegenwärtig. Ein Stadtspaziergang, dessen besonderer Fokus auf dem Stadtwappen liegt, kann nur empfohlen werden.

Als Wappen der Grundschule an der Türkenstraße

Der Fotograf Josef Gögler sucht – und fotografiert – bereits seit Jahren die Abbildungen des Münchner Kindls überall in München. Allein im Neuen Rathaus (außen und innen) ist er 83 Mal fündig geworden.

Der Münchner-Kindl-Fotograf

Freilich kann man es sich im Rahmen eines organisierten Spaziergangs durch die Münchner Stadt­ge­schich­te auch etwas leichter machen.


BUCHTIPP:
111 Orte in München, die man gesehen haben muß
Wussten Sie, dass Thomas Manns Braunbär zum Greifen nah in München steht, dass Michael Jackson für immer an der Isar bleibt und dass es in Mün­chen neben Hellabrunn einen zweiten Zoo gibt? Haben Sie schon einmal in Fröttmaning Halluzinationen gehabt, in einer Theaterkantine einen tollen Abend verlebt oder köstlich zwischen Fresken gespeist? Dieses Buch führt selbst Münchner an Orte, die sie stau­nen lassen, und erzählt Ge­schich­ten, die noch niemand gehört hat. Und das gleich 111 Mal.