SIEDLUNG ALTE HEIDE
8. AUGUST 2022
Ich entdeckte diese Siedlung durch reinen Zufall: Wenn man von der Berliner Straße den unauffälligen Weg zwischen dem Marriott-Hotel und dem Bürogebäude der Munich Re geht, kommt man zu einer Hängebrücke für Fußgänger und Radfahrer, die über den Mittleren Ring (die Schenkendorfstraße) führt. Durch einen kleinen Park kommt man – an einem Sportplatz vorbei – in wenigen Minuten zur Fröttmaninger Straße, der südlichen Grenze des Viertels.
Hier angekommen ist man gleich überwältigt von der markanten Erscheinung der 1926 bis 1928 erbauten Schule an der Fröttmaninger Straße, dem Hauptgebäude der Siedlung. Das vom Stadtbaumeister Hans Grässel (1860-1939) geplante Gebäude wirkt durch seine vielen Stockwerke, den symmetrischen Aufbau und das Dachtürmchen wie ein Rathaus einer kleinen Stadt aus der Provinz.
Grundschule an der Fröttmaninger Straße
> > > Multimedia-Reportage über die Schule < < <
Kern der Alten Heide ist die gleichnamige Mustersiedlung aus den 1920er-Jahren, die heute wie damals durch ihre zentrale Lage, ihre gute Infrastruktur und den entzückenden Mietergärten mitten in der Siedlung ein begehrtes Wohnquartier ist.
Die Siedlung Alte Heide wurde von 1919 bis 1928 von Theodor Fischer als „Gartenwohnpark“ geschaffen. Sie hatte sozialgeschichtliche Bedeutung, denn sie sollte eine Abkehr von den dunklen, um enge Hinterhöfe gedrängten Mietskasernen sein, die damals den Wohnungsbau für die Arbeiterschicht bestimmten. Fischers Vision vom „menschengerechten Planen“ hatte das Ziel, durch die Schaffung von kleinen Wohnungen für Arbeiter der Industrieanlagen im Norden der Stadt „das bürgerliche Einzelhaus möglichst breiten Schichten zu erschließen“. Die Siedlung besteht aus 26 in Form des Zeilenbaus angeordneten Wohngebäuden mit jeweils drei Stockwerken.
Heute ist die „historische“ Siedlung in eine Reihe von moderneren Bauten eingebettet, die sich zwischen der Autobahn A9 im Westen und der Ungererstraße im Osten befinden und der Siedlung einen gewissen Lärmschutz bieten. Die Nürnberger Autobahn, die hier auf der Höhe der Sportanlage in den Mittleren Ring einmündet, trennt auch die Siedlung von der Parkstadt Schwabing, einem modernen Stadtteil, der zum größten Teil aus Hotel- und Geschäftsbauten besteht, von denen die Bürotürme Highlight Towers zu den höchsten Gebäuden in München zählen und sich in der Sichtachse „Odeonsplatz-Ludwigstraße-Siegestor-Leopoldstraße“ befinden, was von vielen als Stilbruch angesehen wird.
Die Highlight Towers
Das Quartier selbst wird zwar vollmundig „Parkstadt“ genannt, doch städtisches Flair fehlt ihm aufgrund seiner strengen Gliederung und seiner kubusartigen Gebäuden vollkommen, ebenso wenig kann die Parkanlage als lebenswerte urbane Grünfläche gelten.
Ganz anders die „Siedlung Alte Heide“, die in Anlehnung an die Gartenstadtbewegung als „Gartenwohnpark“ entstand und diesen Namen auch verdient. Die Freiflächen zwischen den Häuserzeilen stehen den Bewohnern als Kleingärten zur Verfügung, während ein breiter Grünstreifen entlang der mittleren Hauptachse öffentlich genutzt werden kann. Die gemeinschaftliche Badeanlage im Verwaltungsgebäude bot Wannen- und Brausebäder an.
Als Sonderbauten sind noch erhalten geblieben der Kindergarten, Alte Heide 3 und das Gebäude Konsum, das als Lebensmittelgeschäft geplant war, an der Ecke zur Echinger Straße als Hausnummer. 25. Die Wohnsiedlung ist dadurch und durch das viele Grün noch heute ein „authentischer“, lebendiger Ort.
Alte Heide 3
Alte Heide 3, das Verwaltungsgebäude der „Alte Heide Gemeinnützigen Baugesellschaft m.b.H.“ ist ein malerischer Gruppenbau im Zentrum der Siedlung. Südlich im Garten befindet sich ein Brunnenbecken mit Knabenfigur.
Der Konsum war das einzige größere Kolonialwarengeschäft der Siedlung. Hier konnten die Bewohner des Arbeiterviertels Lebensmittel kaufen.
Der ehemalige „Konsum“
Der Bauträger, die genannte „Gemeinnützige Baugesellschaft“, wurde 1918 von mehreren Münchner Unternehmen gegründet, darunter die Bayerische Motorenwerke A. G., die Löwenbräu A. G. und die Lokomotivfabrik Maffei.
Die Siedlung Alte Heide war die erste Zeilenbausiedung Deutschlands. Zeilenbau bedeutet, dass die Gebäude parallel zueinander gestellt werden. Als Zeilenbau oder Zeilenbauweise wird die Anordnung von langen, schmalen Wohngebäuden quer zur Verkehrsstraße bezeichnet. Die Gebäude werden dann durch Fußwege erschlossen. Diese Bauform entstand als Reaktion auf die Blockbebauung mit ihren engen Höfen einerseits und der Gartenstadtbewegung andererseits.
Das Baukonzept konnte sich in den 1920er-Jahren gegenüber der klassischen Mietskaserne durchsetzen, weil es eine gleichmäßige Belichtung und Belüftung der Wohnungen erlaubte. Die Giebel der Häuser orientierten sich klassischerweise nach Norden und Süden, die Wohnräume lagen im Westen wegen der Abendsonne, die Schlafräume und Bäder im Osten wegen der Morgensonne. Durch die parallele Anordnung der Häuser wurde eine natürliche Querlüftung erzielt. der
Die meisten Wohnungen der Alten Heide waren 60 m² groß, auf zwei Zimmer verteilt; darüber hinaus gab es die in München übliche Wohnküche, ein WC sowie eine Loggia. Durch die Lage und den Abstand von den weiteren Gebäuden waren die Zimmer alle vom Tageslicht durchflutet. Die Außengestaltung war schlicht, die Häuser erhielten fantasievolle Namen und entsprechende Verzierungen: „zum Hahn“, „zur Arche Noah“, „zum Heiligen Franziskus“ etc.
In die Siedlung zogen Arbeiter der in der Hirschau gelegenen Lokomotivfabrik Maffei, der an der Siedlung beteiligten Unternehmen sowie Angestellte von Bahn, Post und Stadt ein. Parzellengärtchen, eine Gaststätte und das Schulhaus vervollständigten die Anlage.
Fußweg, der eines der Gebäude erschließt
Ab 1926 plante Fischer ohne äußere Veränderungen bei den noch zu bauenden Wohnungen neue Grundrisse: mit je vier Zimmern, Küche, Speisekammer und Bad, um dem Bedürfnis nach größeren Wohnungen nachzukommen. Aufgrund der Wohnungsnot der zweiten Nachkriegszeit wurden 1949 zwei Dachwohnungen in jeder Zeile eingebaut.
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Für den Spaziergänger sind es sicher nicht die langen, schmalen Wohngebäude, die Interesse wecken. Diese mögen architekturhistorisch relevant sein, aber wenn man sie sich ohne das umgebende Grün der Parzellengärten vorstellt, entpuppen sie sich als das, was sie sind bzw. ursprünglich waren – gleichförmige Sozialwohnungen.
Der Zauber dieses Viertels entfaltet sich am ehesten dann, wenn man die kleinen Gärten zum Objekt der Aufmerksamkeit macht. Wenn man von einer der Verkehrsstraßen in einen Fußweg einbiegt, der eines der Gebäude erschließt, kann man ins Staunen kommen. Die Parzellengärten erwecken den Eindruck, man wäre in einer Laubengartensiedlung. Es fehlen nur die Gartenhäuschen.
Freilich eine Idylle mit Makel. Denn manche der kleinen Gärten sind unbepflanzt, höchstens zum Aufhängen von Wäsche genutzt, da und dort ist eine Parzelle völlig verwildert und zugewuchert. Die Anzahl der Gemüsebeete ist überschaubar, mit Blumen bepflanzte Zierbeete eher die Ausnahme. Man sieht es: Hier gilt nicht die strenge Ordnung der Kleingartenanlagen.
Einen Fußweg entlang gehen, am Ende des Gebäudes wieder hinaus, ein paar Schritte an der Straße gehen, dann den Fußweg zum nächsten Gebäude nehmen. Und so weiter und so fort. Jede Parzelle eine Entdeckung: Hier ein gemütlicher Sitzbereich, anderswo ein Grillplatz oder Spielgeräte für Kinder, hier eine zugewachsene Ecke, die an Dornröschen denken lassen, dort blühende Rosen in der Sonne. Es ist eine Vorstadtidylle, die Sehnsüchte weckt.
Der kleine Wirtsgarten der Gaststätte Alte Heide ist entzückend, ein Muss für den, der an einem schönen Sommertag die Gartenbereiche der Siedlung alle (oder fast) abgeklappert hat. Eine kleine Oase der Entspannung, ein Treffpunkt für die Nachbarschaft, an dem man plaudert und sich über gemeinsame Interessen unterhält.
Gaststätte Alte Heide
Als Außenstehender kann man sich gut vorstellen, wie dies zu einem Gefühl von Zugehörigkeit und Gemeinschaft führen kann. Auch aus diesem Grund verleitet die kleine Wirtschaft dazu, immer wieder zu kommen, nicht nur wegen eines entspannten Stündchen, sondern auch, um ein wenig von diesem „Hier-bin-ich-zu-Hause“-Gefühl zu erleben.
Im Kleinen Biergarten der Gaststätte
Das Außergewöhnliche dieser kleinen Siedlung ist, dass sie wie eine Insel früherer „gemütlicher“ Zeiten inmitten des Trubels der modernen Stadt wirkt. „Umzingelt“ von Autobahn, Mittlerem Ring, Ungererstraße und Domagkstraße hat sie es geschafft, ihren Vorstadtcharakter und ihr Erscheinungsbild zu bewahren.
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