MÜNCHNER  SPAZIERGÄNGE

STAND: JANUAR 2024


SIEDLUNG ALTE HEIDE


8. AUGUST 2022

Ich entdeckte diese Siedlung durch reinen Zufall: Wenn man von der Berliner Straße den unauffälligen Weg zwischen dem Marriott-Hotel und dem Bü­ro­gebäude der Munich Re  geht, kommt man zu einer Hängebrücke für Fuß­gän­ger und Radfahrer, die über den Mittleren Ring (die Schen­ken­dorf­stra­ße) führt. Durch einen kleinen Park kommt man – an einem Sportplatz vorbei – in wenigen Minuten zur Frött­maninger Straße, der südlichen Grenze des Viertels.

Hier angekommen ist man gleich überwältigt von der markanten Er­schei­nung der 1926 bis 1928 erbauten Schule an der Fröttmaninger Straße, dem Hauptgebäude der Siedlung. Das vom Stadtbaumeister Hans Grässel (1860-1939) geplante Gebäude wirkt durch seine vielen Stockwerke, den sym­me­trischen Aufbau und das Dachtürmchen wie ein Rathaus einer klei­nen Stadt aus der Provinz.

Grundschule an der Fröttmaninger Straße

> > > Multimedia-Reportage über die Schule < < < 

Kern der Alten Heide ist die gleichnamige Mustersiedlung aus den 1920er-Jahren, die heute wie damals durch ihre zentrale Lage, ihre gute In­fra­struk­tur und den entzückenden Mie­ter­gärten mitten in der Siedlung ein be­gehrtes Wohnquartier ist.

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Die Siedlung Alte Heide wurde von 1919 bis 1928 von Theodor Fischer als „Gar­ten­wohn­park“ geschaffen. Sie hatte sozialgeschichtliche Bedeutung, denn sie sollte eine Abkehr von den dunklen, um enge Hinterhöfe ge­drängten Mietskasernen sein, die da­mals den Wohnungsbau für die Ar­bei­ter­schicht bestimmten. Fischers Vision vom „men­schen­ge­rechten Planen“ hatte das Ziel, durch die Schaffung von kleinen Wohnungen für Arbeiter der Industrieanlagen im Norden der Stadt „das bürgerliche Einzelhaus möglichst breiten Schichten zu erschließen“. Die Siedlung besteht aus 26 in Form des Zei­len­baus angeordneten Wohngebäuden mit jeweils drei Stockwerken.


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Heute ist die „historische“ Siedlung in eine Reihe von moderneren Bauten eingebettet, die sich zwischen der Autobahn A9 im Westen und der Un­ge­rerstraße im Osten befinden und der Siedlung einen gewissen Lärm­schutz bieten. Die Nürnberger Autobahn, die hier auf der Höhe der Sport­an­lage in den Mittleren Ring ein­mün­det, trennt auch die Siedlung von der Parkstadt Schwabing, einem modernen Stadtteil, der zum größ­ten Teil aus Hotel- und Geschäftsbauten besteht, von denen die Bürotürme Highlight Towers zu den höchsten Ge­bäu­den in München zählen und sich in der Sicht­achse „Odeonsplatz-Ludwigstraße-Siegestor-Leo­pold­stra­ße“ befinden, was von vielen als Stilbruch angesehen wird.

Die Highlight Towers

Das Quartier selbst wird zwar vollmundig „Parkstadt“ genannt, doch städ­ti­sches Flair fehlt ihm aufgrund sei­ner strengen Gliederung und seiner ku­bus­ar­tigen Gebäuden vollkommen, ebenso wenig kann die Park­an­lage als le­bens­wer­te urbane Grünfläche gelten.

Ganz anders die „Siedlung Alte Heide“, die in Anlehnung an die Gar­ten­stadt­be­wegung als „Garten­wohn­park“ entstand und diesen Namen auch verdient. Die Freiflächen zwischen den Häuserzeilen stehen den Bewohnern als Kleingärten zur Verfügung, während ein breiter Grünstreifen entlang der mittleren Hauptachse öffentlich genutzt werden kann. Die ge­mein­schaft­liche Badeanlage im Verwaltungsgebäude bot Wannen- und Brau­se­bäder an.

Als Sonderbauten sind noch erhalten geblieben der Kindergarten, Alte Heide 3 und das Gebäude Konsum, das als Lebensmittelgeschäft geplant war, an der Ecke zur Echinger Straße als Hausnummer. 25. Die Wohn­sied­lung ist da­durch und durch das viele Grün noch heute ein „authentischer“, le­bendiger Ort.

Alte Heide 3

Alte Heide 3, das Verwaltungsgebäude der „Alte Heide Gemeinnützigen Baugesellschaft m.b.H.“ ist ein ma­le­ri­scher Gruppenbau im Zentrum der Siedlung. Südlich im Garten befindet sich ein Brunnenbecken mit Kna­ben­figur.

Der Konsum war das einzige größere Kolonialwarengeschäft der Siedlung. Hier konnten die Bewohner des Ar­beiterviertels Lebensmittel kaufen.

Der ehemalige „Konsum“

Der Bauträger, die genannte „Gemeinnützige Baugesellschaft“, wurde 1918 von mehreren Münch­ner Un­ter­nehmen gegründet, darunter die Bayerische Motorenwerke A. G., die Löwenbräu A. G. und die Loko­mo­tiv­fabrik Maffei.

Die Siedlung Alte Heide war die erste Zeilenbausiedung Deutschlands. Zeilenbau bedeutet, dass die Gebäude parallel zueinander gestellt werden. Als Zeilenbau oder Zeilenbauweise wird die Anordnung von langen, schma­len Wohngebäuden quer zur Verkehrsstraße be­zeich­net. Die Gebäude werden dann durch Fußwege erschlossen. Diese Bauform ent­stand als Re­a­ktion auf die Blockbebauung mit ihren engen Höfen einerseits und der Gar­ten­stadt­bewegung andererseits.

Das Baukonzept konnte sich in den 1920er-Jahren gegenüber der klas­si­schen Mietskaserne durchsetzen, weil es eine gleichmäßige Belichtung und Belüftung der Wohnungen erlaubte. Die Giebel der Häuser orientierten sich klassischerweise nach Norden und Süden, die Wohnräume lagen im Wes­ten wegen der Abendsonne, die Schlafräume und Bäder im Osten wegen der Morgensonne. Durch die parallele Anordnung der Häuser wurde eine na­tür­liche Querlüftung erzielt. der

Die meisten Wohnungen der Alten Heide waren 60 m² groß, auf zwei Zimmer verteilt; da­rü­ber hinaus gab es die in München übliche Wohnküche, ein WC sowie eine Loggia. Durch die Lage und den Abstand von den weiteren Ge­bäu­den waren die Zimmer alle vom Ta­ges­licht durchflutet. Die Au­ßen­ge­stal­tung war schlicht, die Häuser erhielten fantasievolle Na­men und ent­spre­chen­de Verzierungen: „zum Hahn“, „zur Arche Noah“, „zum Heiligen Franziskus“ etc.

In die Siedlung zogen Arbeiter der in der Hirschau gelegenen Loko­mo­tiv­fa­brik Maffei, der an der Siedlung be­teiligten Unternehmen sowie An­ge­stell­te von Bahn, Post und Stadt ein. Parzellengärtchen, eine Gaststätte und das Schulhaus vervollständigten die Anlage.

Fußweg, der eines der Gebäude erschließt

Ab 1926 plante Fischer ohne äußere Veränderungen bei den noch zu bau­enden Wohnungen neue Grundrisse: mit je vier Zimmern, Küche, Spei­se­kammer und Bad, um dem Bedürfnis nach größeren Wohnungen nach­zu­kommen. Aufgrund der Wohnungsnot der zweiten Nach­kriegszeit wur­den 1949 zwei Dachwohnungen in jeder Zeile eingebaut.


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Für den Spaziergänger sind es sicher nicht die langen, schmalen Wohn­ge­bäu­de, die In­te­res­se wecken. Diese mögen architekturhistorisch re­le­vant sein, aber wenn man sie sich ohne das umgebende Grün der Par­zel­len­gärten vorstellt, entpuppen sie sich als das, was sie sind bzw. ur­sprüng­lich waren – gleichförmige So­zial­wohnungen.

Der Zauber dieses Viertels entfaltet sich am ehesten dann, wenn man die kleinen Gärten zum Objekt der Aufmerksamkeit macht. Wenn man von einer der Verkehrsstraßen in einen Fußweg einbiegt, der eines der Gebäude er­schließt, kann man ins Staunen kommen. Die Parzellengärten erwecken den Eindruck, man wäre in einer Laubengartensiedlung. Es fehlen nur die Gar­ten­häuschen.



Freilich eine Idylle mit Makel. Denn manche der kleinen Gärten sind un­be­pflanzt, höchstens zum Aufhängen von Wäsche genutzt, da und dort ist ei­ne Parzelle völlig verwildert und zugewuchert. Die Anzahl der Ge­mü­se­bee­te ist überschaubar, mit Blumen bepflanzte Zierbeete eher die Aus­nah­me. Man sieht es: Hier gilt nicht die stren­ge Ordnung der Klein­gar­tenanlagen.

Einen Fußweg entlang gehen, am Ende des Gebäudes wieder hinaus, ein paar Schritte an der Straße gehen, dann den Fußweg zum nächsten Gebäude neh­men. Und so weiter und so fort. Jede Parzelle eine Entdeckung: Hier ein ge­müt­li­cher Sitzbereich, anderswo ein Grillplatz oder Spielgeräte für Kinder, hier eine zugewachsene Ecke, die an Dornröschen denken lassen, dort blühen­de Rosen in der Sonne. Es ist eine Vorstadtidylle, die Sehnsüchte weckt.

Der kleine Wirtsgarten der Gaststätte Alte Heide ist entzückend, ein Muss für den, der an einem schönen Som­mertag die Gartenbereiche der Siedlung alle (oder fast) abgeklappert hat. Eine kleine Oase der Ent­span­nung, ein Treff­punkt für die Nachbarschaft, an dem man plaudert und sich über ge­mein­same In­te­res­sen unterhält.

Gaststätte Alte Heide

Als Außenstehender kann man sich gut vorstellen, wie dies zu einem Gefühl von Zu­ge­hö­rigkeit und Ge­mein­schaft führen kann. Auch aus diesem Grund verleitet die kleine Wirt­schaft dazu, immer wieder zu kom­men, nicht nur wegen eines entspannten Stündchen, sondern auch, um ein wenig von diesem „Hier-bin-ich-zu-Hause“-Gefühl zu erleben.

Im Kleinen Biergarten der Gaststätte

Das Außergewöhnliche dieser kleinen Siedlung ist, dass sie wie eine Insel früherer „gemütlicher“ Zeiten inmitten des Trubels der modernen Stadt wirkt. „Umzingelt“ von Autobahn, Mittlerem Ring, Ungererstraße und Do­magk­straße hat sie es geschafft, ihren Vorstadtcharakter und ihr Erscheinungsbild zu bewahren.



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