MÜNCHNER  SPAZIERGÄNGE

STAND: JANUAR 2024


DER ALTE ORTSKERN BOGENHAUSENS


17. Januar 2020:: Dass Bogenhausen zu den Spit­zen­wohn­la­gen Mün­chens ge­hört (mit ent­spre­chen­den ho­hen Im­mo­bi­lien­prei­sen) wird ei­nem gleich klar, wenn man sich be­wusst wird, dass in die­sem Vier­tel ei­ni­ge der schöns­ten Häu­ser zu se­hen sind, die Mün­chen zu bie­ten hat: Pit­to­res­ke Alt­bau­ten, präch­ti­ge Ju­gend­stil­bau­ten, herr­schaft­li­che Miets­häu­ser, schloss­ar­ti­ge, neu­klas­si­zis­ti­sche Vil­len, his­to­ri­sie­ren­de Reih­en­haus­grup­pen. In an­de­ren Wor­ten: Städte­bau nach künst­le­ri­schen Grund­sät­zen, ganz im Ge­gen­satz zur Nüch­tern­heit des mo­der­nen Städtebaus.

Steinbacherstraße

Gleich nach der Abzweigung von der Mont­ge­las­stra­ße (End­punkt mei­nes letz­ten Spa­zier­gangs) in die Stein­ba­cher­stra­ße fängt die Idyl­le an: Rechts ei­ne Häu­ser­rei­he ba­ro­cki­sie­ren­den Ju­gend­stils aus dem An­fang des 20. Jahr­hun­derts, links der Stein­ba­cher Teich, der vom Brunn­tha­ler Quell­bach ge­speist wird, wel­cher in ei­nem un­ter­ir­di­schen Ab­lauf süd­lich der Max-Jo­seph-Brücke in die Isar fließt.

Der Steinbacher Teich

Nach etwa hundert Metern zweigt die Stra­ße nach links in die Neu­berg­hau­ser­stra­ße ab. Zu­nächst nur ein schma­ler Weg, führt dieser leicht steigend zum Denkmal des im Wi­der­stand ge­gen den Na­tio­nal­so­zia­lis­mus ge­stor­be­nen Je­sui­ten Pa­ters Al­fred Delp. Kurz da­rauf, lin­ker­hands, die St. Georg Kir­che.

Die Lauer Villa

Auf­fäl­li­ger als die Kir­che ist der im­po­san­te Grup­pen­bau im Stil his­to­ri­sie­ren­der „Deut­scher Re­nais­san­ce“, der ei­nen Ab­schluss des Kirch­plat­zes bil­det, die Lauer Villa! Sie wur­de 1912 von Wil­helm Sche­rer für den Ma­ler Fried­rich Lauer er­rich­tet, an der Stel­le der in den 1860er Jah­ren er­rich­te­ten, 1910 ab­ge­bro­che­nen Gast­wirt­schaft Neu­berg­hau­sen.

Das rie­si­ge Ge­bäu­de mit sei­nem vor­ge­la­ger­ten Gar­ten er­weckt den Ein­druck ei­nes über­di­men­sio­nier­ten Land­hau­ses.

Nach dem Ers­ten Welt­krieg such­te der bis da­hin als Ma­ler we­nig er­folg­rei­che La­uer, des­sen Ver­mö­gen we­gen der da­ma­li­gen schlech­ten wirt­schaft­li­chen La­ge Deutsch­lands dahin­schmolz, nach neu­en Er­werbs­quel­len. So kam er auf die Idee, in der rie­si­gen Vil­la die Münch­ner „Edel-Mes­se“ un­ter­zu­brin­gen, ei­ne „Stän­di­ge Mus­ter­schau Deut­scher Qua­li­täts­wa­ren mit Groß­han­dels­ver­tre­tung im In- und Aus­land“.


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1925 wur­de die Vil­la an das Corps Sue­via Mün­chen (ei­ne der größ­ten nicht­fu­sio­nier­ten Stu­den­ten­ver­bin­dun­gen in Deutsch­land) ver­kauft, dem sie bis 1939 ge­hör­te. Weil al­le drei Münch­ner Sy­na­go­gen wäh­rend des Zwei­ten Welt­krie­ges zer­stört wor­den wa­ren, wur­de En­de 1946 im Fest­saal der Villa ei­ne vo­rü­ber­ge­hen­de Sy­na­go­ge ein­ge­rich­tet, mit Mikwe (be­zeich­net im Ju­den­tum ein Tauch­bad zur ri­tuel­len Rei­ni­gung), Volks­schu­le und he­bräi­schem Gym­na­sium. Nach 1970 diente sie u. a. als Kin­der­gärt­ne­rin­nen­se­mi­nar und als Fach­be­reich So­zial­pä­da­go­gik der Fach­hoch­schu­le Mün­chen. Der­zeit be­her­bergt sie ei­nen Kin­der­gar­ten und die städ­ti­sche Sing- und Mu­sikschule.

Die Lauer Villa

St. Georg, die ehemalige Dorf­kir­che Bo­gen­hau­sens und bis 1934 des­sen geist­li­cher Mit­tel­punkt, ist vermutlich die älteste Pfarrkirche Münchens. Sie wur­de 1770 nach den Ent­wür­fen des be­deu­ten­den deut­schen Bau­meis­ters Jo­hann Mi­chael Fi­scher vol­len­det. Be­rühmt ist vor al­lem der von Jo­hann Bap­tist Straub meis­ter­lich ge­stal­te­te, vier­säu­li­ge Hoch­al­tar mit der Skulp­tur des Hei­li­gen Georg als Dra­chen­tö­ter so­wie die von Ignaz Gün­ther ge­stal­te­te Kan­zel. Die Kir­che gilt als ei­ner der letz­ten Glanz­punk­te des ba­ye­ri­schen Spät­ba­rocks. Sie ist für Münch­ner Ver­hält­nis­se klein, aber wun­der­voll aus­ge­stat­tet und des­halb im­mer ei­nen Besuch wert.

Die St. Georg Kirche

Mit der Eingemeindung von Bogenhausen in die Stadt München 1892 wuchs die Einwohnerzahl des Stadtteils rasch an, sodass die Diözese sich zu einem Neubau in der Scheinerstraße entschloss.

Die St. Georg Kirche

Als ich mich im klei­nen Fried­hof um­se­he, der die Kir­che um­gibt, wer­de ich von des­sen pit­to­res­ken Schlicht­heit und sei­nem ur­sprüng­li­chen, fast dörf­li­chen Cha­rak­ter über­rascht. Hier auf dem Isar­hoch­ufer füh­le ich mich weit ent­fernt vom Ver­kehrs­lärm der Groß­stadt und er­lebe Mo­men­te der Ver­zau­be­rung. Von der Lau­er Vil­la dringt lei­se Kla­vier­mu­sik zu mir und das Bild vor mei­nen Au­gen wird fast aus­schließ­lich von schmie­de­ei­ser­nen, bunt be­mal­ten Grab­kreu­zen be­stimmt. Mau­so­leen, Mar­mor­skulp­tu­ren und stei­ner­ne En­gel auf mo­nu­men­ta­len Fa­mi­lien­grä­bern, wie es mir von an­de­ren Münch­ner Fried­hö­fen be­kannt ist, feh­len völ­lig. Ein ins­pi­rie­ren­der Ort!

Das Grab des Schauspielers Werner Kreindl

Was den Friedhof von tat­säch­li­chen al­ten Dorf­fried­hö­fen un­ter­schei­det, ist, dass al­le Grä­ber lie­be­voll ge­pflegt sind. Ob Grab­ge­stecke, im­mer­grü­ne Bo­den­de­cker, Tan­nen­zap­fen, Fich­ten­wei­ge, Kies, Splitt oder Stei­ne, die De­ko­ra­tion sieht aus, als sei sie ge­ra­de erst ge­pflanzt, ge­legt oder ge­stal­tet wor­den. Vor al­lem die kunst­voll ge­schmie­de­ten Grab­kreu­ze zei­gen kaum Zei­chen der Zeit, fast nir­gend­wo blät­tert die Far­be ab, tritt Rost in Er­schei­nung, sind die In­schrif­ten nicht mehr les­bar. Es wirkt fast wie ei­ne ins­ze­nie­rung, als be­fin­de man sich auf ei­nem Fried­hofs­mu­seum.

Das Grab von Bernd Eichinger

Eine weitere zwei­te Über­ra­schung er­war­tet mich. Mir fällt ein sehr schlich­tes Grab mit ei­ner eben­so schlich­ten In­schrift auf: Bernd Ei­chin­ger. Als Pro­du­zent von Fil­men wie „Wir Kin­der vom Bahn­hof Zoo“, „Die un­end­li­che Ge­schich­te“ und „Der Name der Rose“ gehörte er zu den be­deu­tends­ten deut­schen Film­pro­duzenten.

Das Grab von Liesl Karlstadt

Von da an se­he ich mir die In­schrif­ten der Grä­ber ge­nau­er an. Ei­ne Über­ra­schung folgt der an­de­ren. In ei­nem Grab an der süd­li­chen Mau­er ruht die in Schwa­bing ge­bo­re­ne Schau­spie­le­rin Liesl Karl­stadt, die als Part­ne­rin von Karl Va­len­tin be­rühmt wur­de. Auf dem Kreuz leuch­tet ein ro­tes Herz. In ei­nem wei­te­ren Grab ruht Hel­mut Dietl, wohl ei­ner der ei­gen­wil­ligs­ten un­ter den deut­schen Film- und Fern­seh­re­gis­seu­ren. Er feier­te in den Neun­zi­ger­jah­ren be­acht­li­che Er­fol­ge. Se­rien wie „Kir Royal" oder „Mo­na­co Fran­ze" sind sa­ti­ri­sche Sit­ten­bil­der aus der Welt der Münch­ner Schickeria. Der Be­rühm­tes­te un­ter den Ver­stor­be­nen ist wohl der Schift­stel­ler Erich Käst­ner, der Schöp­fer von „Emil und die De­tek­ti­ve“, „Pünkt­chen und An­ton“ und „Das dop­pel­ten Lott­chen“, der am 29. Juli 1974 starb. Aber die Lis­te der Pro­mi­nen­ten, die hier ruhen, ist noch lan­ge nicht zu En­de. Der Schrift­stel­ler Os­kar Ma­ria Graf, der Re­gis­seur Rai­ner Wer­ner Fass­bin­der, der Schau­spie­ler Hel­mut Fi­scher (als Mo­na­co Fran­ze be­rühmt ge­wor­den), der 1990 er­mor­der­te  Schau­spie­ler Wal­ter Sedl­mayr und vie­le, viele andere.

Das Grab von Erich Kästner

Wer die Ehre erhält, hier ei­ne letz­te Ru­he­stät­te zu fin­den, muss zum Zeit­punkt sei­nes To­des­ta­ges min­des­tens 30 Jah­re lang sei­nen Wohn­sitz im Stadt­vier­tel ge­habt ha­ben, oder aber es han­delt sich – nach Er­mes­sen der Stadt Mün­chen – um eine be­kann­te Per­sön­lich­keit, die sich um Mün­chen in be­son­de­rer Wei­se ver­dient ge­macht hat. Der ehe­ma­li­ge Ober­bür­ger­meis­ter Chris­tian Ude äu­ßer­te sich ein­mal da­rü­ber in hu­mo­ris­ti­scher Zu­spit­zung: „Die ge­sam­te Münch­ner Schi­cke­ria, die über 80 ist, re­det nicht mehr über VIP-Loun­ges, son­dern über Bo­gen­hau­sen“. Lei­der ist die Ka­pa­zi­tät des klei­nen Got­tes­acker an sei­ne Gren­zen gelangt.

Ganz sporadisch bietet der Ve­rein NordOstKultur ge­führ­te Tou­ren durch den Fried­hof an. Für Nicht-Münch­ner könn­te solch ei­ne fach­kün­di­ge Füh­rung mehr über Mün­chen und die Münch­ner er­zäh­len als alle Tou­ren, die stan­dard­mä­ßig an­ge­bo­ten werden.


BUCHTIPP:
 Der Friedhof Bogenhausen: Gottesacker für Münchner und Weltbürger Ein Rundgang

Das Büch­lein er­spart die müh­sa­me Re­cher­che von In­for­ma­tio­nen über die Pro­mi­nen­te, die hier in Bo­gen­hau­sen ruhen.
 
 
 


FILMTIPP:
 Karl Valentin & Liesl Karlstadt - Die Kurzfilme Neuedition [3 DVDs]

Tau­sen­de Münch­ner spa­zie­ren je­den Tag an Liesl Karlstadt vor­bei, aber an ihrem Brun­nen-Denk­mal auf dem Vik­tua­lien­markt. Zu­sam­men mit Karl Va­len­tin bil­de­te sie das be­kann­tes­te Ko­mi­ker­duo des 20. Jahr­hunderts
 
 


FILMTIPP:
 Monaco Franze - Der ewige Stenz (Digital Remastered, 3 Discs)

Monaco Franze - Der ewi­ge Stenz “: Die po­pu­lärs­te Rol­le von Hel­mut Fi­scher (1926 – 1997) war der Mo­na­co Fran­ze, der ewi­ge Stenz, in der gleich­na­mi­gen Kult­se­rie von Hel­mut Dietl. Po­pu­lär war er in ganz Deutsch­land – in Mün­chen wur­de er geliebt.
 
 


A propos Film: 1973 drehte Miche­lan­ge­lo An­to­nio­ni in die­ser Kir­che ei­ne Schlüs­sel­sze­ne sei­nes Films „Be­ruf: Re­por­ter“ mit Jack Ni­chol­son und Ma­ria Schnei­der in den Haupt­rol­len. Es sind zehn wun­der­ba­re Mi­nu­ten, die in Mün­chen spie­len, die meis­ten da­von hier, in der ver­wun­sche­nen Kir­che Sankt Georg.

FILMTIPP:
 Beruf: Reporter (Michelangelo Antonioni)

In die­sem von kul­tur­pes­si­mis­ti­schen Un­ter­tö­nen durch­zo­ge­nen Psy­cho­dra­ma (1975) des be­rühm­ten ita­lie­ni­schen Re­gis­seurs spielt Jack Ni­chol­son ei­nen Re­por­ter, der die Iden­ti­tät ei­nes ver­stor­be­nen Waf­fen­händ­lers an­nimmt.
 
 


Meine kleine Spa­zier­run­de geht wei­ter über die Möhl­stra­ße zu­rück zur Mont­ge­las­stra­ße. Auf der rech­ten Stra­ßen­sei­te ein klei­ner, ver­steck­ter Park mit rie­si­gen al­ten Bäu­men, Wie­sen und Park­bän­ken, der so ge­nann­te Bür­ger­meis­ter­gar­ten (oder Max-Jo­seph-Gar­ten). Im Park liegt die 1898 von Ar­chi­tekt Paul Pfann un­ter Mit­ar­beit von Gün­ther Blu­men­tritt er­rich­te­te schloss­ar­tige, neu­ba­ro­cke Bür­ger­meis­ter­villa“, in der ein Teil der Ba­ye­ri­schen Thea­ter­aka­de­mie un­ter­gebracht ist.

Die Bürgermeistervilla

Nebenan liegt das mo­der­ne Ge­bäu­de des Fi­nanz­ge­richts. Nicht ge­ra­de schön, aber glück­li­cher­wei­se ziem­lich un­auf­fäl­lig platziert.