17. Januar 2020:: Dass Bogenhausen zu den Spitzenwohnlagen Münchens gehört (mit entsprechenden hohen Immobilienpreisen) wird einem gleich klar, wenn man sich bewusst wird, dass in diesem Viertel einige der schönsten Häuser zu sehen sind, die München zu bieten hat: Pittoreske Altbauten, prächtige Jugendstilbauten, herrschaftliche Mietshäuser, schlossartige, neuklassizistische Villen, historisierende Reihenhausgruppen. In anderen Worten: Städtebau nach künstlerischen Grundsätzen, ganz im Gegensatz zur Nüchternheit des modernen Städtebaus.
Steinbacherstraße
Gleich nach der Abzweigung von der Montgelasstraße (Endpunkt meines letzten Spaziergangs) in die Steinbacherstraße fängt die Idylle an: Rechts eine Häuserreihe barockisierenden Jugendstils aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts, links der Steinbacher Teich, der vom Brunnthaler Quellbach gespeist wird, welcher in einem unterirdischen Ablauf südlich der Max-Joseph-Brücke in die Isar fließt.
Der Steinbacher Teich
Nach etwa hundert Metern zweigt die Straße nach links in die Neuberghauserstraße ab. Zunächst nur ein schmaler Weg, führt dieser leicht steigend zum Denkmal des im Widerstand gegen den Nationalsozialismus gestorbenen Jesuiten Paters Alfred Delp. Kurz darauf, linkerhands, die St. Georg Kirche.
Die Lauer Villa
Auffälliger als die Kirche ist der imposante Gruppenbau im Stil historisierender „Deutscher Renaissance“, der einen Abschluss des Kirchplatzes bildet, die Lauer Villa! Sie wurde 1912 von Wilhelm Scherer für den Maler Friedrich Lauer errichtet, an der Stelle der in den 1860er Jahren errichteten, 1910 abgebrochenen Gastwirtschaft Neuberghausen.
Das riesige Gebäude mit seinem vorgelagerten Garten erweckt den Eindruck eines überdimensionierten Landhauses.
Nach dem Ersten Weltkrieg suchte der bis dahin als Maler wenig erfolgreiche Lauer, dessen Vermögen wegen der damaligen schlechten wirtschaftlichen Lage Deutschlands dahinschmolz, nach neuen Erwerbsquellen. So kam er auf die Idee, in der riesigen Villa die Münchner „Edel-Messe“ unterzubringen, eine „Ständige Musterschau Deutscher Qualitätswaren mit Großhandelsvertretung im In- und Ausland“.
1925 wurde die Villa an das Corps Suevia München (eine der größten nichtfusionierten Studentenverbindungen in Deutschland) verkauft, dem sie bis 1939 gehörte. Weil alle drei Münchner Synagogen während des Zweiten Weltkrieges zerstört worden waren, wurde Ende 1946 im Festsaal der Villa eine vorübergehende Synagoge eingerichtet, mit Mikwe (bezeichnet im Judentum ein Tauchbad zur rituellen Reinigung), Volksschule und hebräischem Gymnasium. Nach 1970 diente sie u. a. als Kindergärtnerinnenseminar und als Fachbereich Sozialpädagogik der Fachhochschule München. Derzeit beherbergt sie einen Kindergarten und die städtische Sing- und Musikschule.
Die Lauer Villa
St. Georg, die ehemalige Dorfkirche Bogenhausens und bis 1934 dessen geistlicher Mittelpunkt, ist vermutlich die älteste Pfarrkirche Münchens. Sie wurde 1770 nach den Entwürfen des bedeutenden deutschen Baumeisters Johann Michael Fischer vollendet. Berühmt ist vor allem der von Johann Baptist Straub meisterlich gestaltete, viersäulige Hochaltar mit der Skulptur des Heiligen Georg als Drachentöter sowie die von Ignaz Günther gestaltete Kanzel. Die Kirche gilt als einer der letzten Glanzpunkte des bayerischen Spätbarocks. Sie ist für Münchner Verhältnisse klein, aber wundervoll ausgestattet und deshalb immer einen Besuch wert.
Die St. Georg Kirche
Mit der Eingemeindung von Bogenhausen in die Stadt München 1892 wuchs die Einwohnerzahl des Stadtteils rasch an, sodass die Diözese sich zu einem Neubau in der Scheinerstraße entschloss.
Die St. Georg Kirche
Als ich mich im kleinen Friedhof umsehe, der die Kirche umgibt, werde ich von dessen pittoresken Schlichtheit und seinem ursprünglichen, fast dörflichen Charakter überrascht. Hier auf dem Isarhochufer fühle ich mich weit entfernt vom Verkehrslärm der Großstadt und erlebe Momente der Verzauberung. Von der Lauer Villa dringt leise Klaviermusik zu mir und das Bild vor meinen Augen wird fast ausschließlich von schmiedeeisernen, bunt bemalten Grabkreuzen bestimmt. Mausoleen, Marmorskulpturen und steinerne Engel auf monumentalen Familiengräbern, wie es mir von anderen Münchner Friedhöfen bekannt ist, fehlen völlig. Ein inspirierender Ort!
Das Grab des Schauspielers Werner Kreindl
Was den Friedhof von tatsächlichen alten Dorffriedhöfen unterscheidet, ist, dass alle Gräber liebevoll gepflegt sind. Ob Grabgestecke, immergrüne Bodendecker, Tannenzapfen, Fichtenweige, Kies, Splitt oder Steine, die Dekoration sieht aus, als sei sie gerade erst gepflanzt, gelegt oder gestaltet worden. Vor allem die kunstvoll geschmiedeten Grabkreuze zeigen kaum Zeichen der Zeit, fast nirgendwo blättert die Farbe ab, tritt Rost in Erscheinung, sind die Inschriften nicht mehr lesbar. Es wirkt fast wie eine inszenierung, als befinde man sich auf einem Friedhofsmuseum.
Das Grab von Bernd Eichinger
Eine weitere zweite Überraschung erwartet mich. Mir fällt ein sehr schlichtes Grab mit einer ebenso schlichten Inschrift auf: Bernd Eichinger. Als Produzent von Filmen wie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“, „Die unendliche Geschichte“ und „Der Name der Rose“ gehörte er zu den bedeutendsten deutschen Filmproduzenten.
Das Grab von Liesl Karlstadt
Von da an sehe ich mir die Inschriften der Gräber genauer an. Eine Überraschung folgt der anderen. In einem Grab an der südlichen Mauer ruht die in Schwabing geborene Schauspielerin Liesl Karlstadt, die als Partnerin von Karl Valentin berühmt wurde. Auf dem Kreuz leuchtet ein rotes Herz. In einem weiteren Grab ruht Helmut Dietl, wohl einer der eigenwilligsten unter den deutschen Film- und Fernsehregisseuren. Er feierte in den Neunzigerjahren beachtliche Erfolge. Serien wie „Kir Royal" oder „Monaco Franze" sind satirische Sittenbilder aus der Welt der Münchner Schickeria. Der Berühmteste unter den Verstorbenen ist wohl der Schiftsteller Erich Kästner, der Schöpfer von „Emil und die Detektive“, „Pünktchen und Anton“ und „Das doppelten Lottchen“, der am 29. Juli 1974 starb. Aber die Liste der Prominenten, die hier ruhen, ist noch lange nicht zu Ende. Der Schriftsteller Oskar Maria Graf, der Regisseur Rainer Werner Fassbinder, der Schauspieler Helmut Fischer (als Monaco Franze berühmt geworden), der 1990 ermorderte Schauspieler Walter Sedlmayr und viele, viele andere.
Das Grab von Erich Kästner
Wer die Ehre erhält, hier eine letzte Ruhestätte zu finden, muss zum Zeitpunkt seines Todestages mindestens 30 Jahre lang seinen Wohnsitz im Stadtviertel gehabt haben, oder aber es handelt sich – nach Ermessen der Stadt München – um eine bekannte Persönlichkeit, die sich um München in besonderer Weise verdient gemacht hat. Der ehemalige Oberbürgermeister Christian Ude äußerte sich einmal darüber in humoristischer Zuspitzung: „Die gesamte Münchner Schickeria, die über 80 ist, redet nicht mehr über VIP-Lounges, sondern über Bogenhausen“. Leider ist die Kapazität des kleinen Gottesacker an seine Grenzen gelangt.
Ganz sporadisch bietet der Verein NordOstKultur geführte Touren durch den Friedhof an. Für Nicht-Münchner könnte solch eine fachkündige Führung mehr über München und die Münchner erzählen als alle Touren, die standardmäßig angeboten werden.
BUCHTIPP:
Der Friedhof Bogenhausen: Gottesacker für Münchner und Weltbürger Ein Rundgang
Das Büchlein erspart die mühsame Recherche von Informationen über die Prominente, die hier in Bogenhausen ruhen.
FILMTIPP:
Karl Valentin & Liesl Karlstadt - Die Kurzfilme Neuedition [3 DVDs]
Tausende Münchner spazieren jeden Tag an Liesl Karlstadt vorbei, aber an ihrem Brunnen-Denkmal auf dem Viktualienmarkt. Zusammen mit Karl Valentin bildete sie das bekannteste Komikerduo des 20. Jahrhunderts
FILMTIPP:
Monaco Franze - Der ewige Stenz (Digital Remastered, 3 Discs)
Monaco Franze - Der ewige Stenz “: Die populärste Rolle von Helmut Fischer (1926 – 1997) war der Monaco Franze, der ewige Stenz, in der gleichnamigen Kultserie von Helmut Dietl. Populär war er in ganz Deutschland – in München wurde er geliebt.
A propos Film: 1973 drehte Michelangelo Antonioni in dieser Kirche eine Schlüsselszene seines Films „Beruf: Reporter“ mit Jack Nicholson und Maria Schneider in den Hauptrollen. Es sind zehn wunderbare Minuten, die in München spielen, die meisten davon hier, in der verwunschenen Kirche Sankt Georg.
FILMTIPP:
Beruf: Reporter (Michelangelo Antonioni)
In diesem von kulturpessimistischen Untertönen durchzogenen Psychodrama (1975) des berühmten italienischen Regisseurs spielt Jack Nicholson einen Reporter, der die Identität eines verstorbenen Waffenhändlers annimmt.
Meine kleine Spazierrunde geht weiter über die Möhlstraße zurück zur Montgelasstraße. Auf der rechten Straßenseite ein kleiner, versteckter Park mit riesigen alten Bäumen, Wiesen und Parkbänken, der so genannte Bürgermeistergarten (oder Max-Joseph-Garten). Im Park liegt die 1898 von Architekt Paul Pfann unter Mitarbeit von Günther Blumentritt errichtete schlossartige, neubarocke „Bürgermeistervilla“, in der ein Teil der Bayerischen Theaterakademie untergebracht ist.
Die Bürgermeistervilla
Nebenan liegt das moderne Gebäude des Finanzgerichts. Nicht gerade schön, aber glücklicherweise ziemlich unauffällig platziert.