---

DERBLECKEN

---

Der bayerische Begriff Derblecken steht für „jemanden mehr oder weniger scharf verspotten“. Die Be­zeich­nung leitet sich vermutlich ab von „die Zähne blecken“, also jemandem die (blitzenden) Zähne zeigen.

Die bayerische Tradition des Derbleckens geht auf die Begrüßung von Gästen durch ihren Wirt zurück, der früher noch alle Dorfbewohner persönlich kannte und die im Ort kursierenden Geschichten und Gerüchte ebenso. Nicht selten wurde aus der Begrüßung ein humorvolles „Sich-lustig-Machen“ über die einzelnen Stammgäste. Von den jeweiligen Opfern des Spotts erwartete man, dass sie diesen mit Humor annahmen, beleidigte Reaktionen lösten umso größere Heiterkeit bei den anderen Gästen aus.

---

---

Wenn man von Derblecken spricht, fällt automatisch der Name Nockherberg, denn das Politiker-Derblecken auf dem Nockherberg ist eine traditionsreiche Veranstaltung, die jährlich anlässlich des Ausschanks des Salvator-Starkbiers auf dem Nockherberg stattfindet. Ursprünglich handelte es sich um eine Fastenpredigt, die von einem Volksschauspieler vorgetragen wurde, der sich kritisch mit aktuellen politischen und ge­sell­schaftlichen Themen auseinandersetzte. Im Laufe der Jahre hat sich das Derblecken auf dem Nock­her­berg zu einer der bedeutendsten politischen Veranstaltungen in Deutschland entwickelt. Heute wird die Fastenpredigt im Fernsehen übertragen und von prominenten Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Gesell­schaft besucht.

Die Erfinder des Salvators waren die Paulaner-Mönche. Sie führten die Starkbierzeit in Ihrem Kloster am Fuße des Nockherberges ein. Seit über 100 Jahren wird die Starkbierprobe und die anschließende Starkbierzeit auf dem Nockherberg in den Räumen des Paulaner-Kellers durchgeführt.

Der erste Salvatorredner war 1891 der Münchner Humorist Jakob Geis. Ihm folgten ab 1922 der Volks­schau­spieler Weiß Ferdl, der Conférencier Adolf Gondrell, der Gstanzlsänger Roider Jackl  sowie der Radio­mo­derator Emil Vierlinger. In den 1970er-Jahren übernahmen Michl Lang, Klaus Havenstein  von der Münchner Lach- und Schießgesellschaft, Franz Schönhuber, der Karikaturist Ernst Maria Lang und schließlich der Schauspieler und Paulaner-Werbeträger Walter Sedlmayr (1982–1990).

Sedlmayr hatte in der Tat eine sehr spitze Zunge. Gleich bei seinem ersten Auftritt sorgte er für einen Eklat, Sedlmayr nannte den bayerischen SPD-Chef Helmut Rothemund kein einziges Mal beim Namen.

„Sie müssen halt nur a bisserl bekannter werden, unsere bayerischen Sozialdemokraten. Am bekanntesten ist ja noch der Ding... der, der, der... na, der immer so beleidigt ist, so traurig ist, wenn der Strauß ned in Landtag kommt. “ [Walter Sedlmayr, 1982]

Sedlmayrs legendäre Nockherberg-Begrüßung

Zwischen 1992 und 2010 traten alle Festredner (mit der Ausnahme des Jahres 2007) als Bruder Barnabas  auf, der den Gästen eine sogenannte „Fastenpredigt“ hielt. Diese Rolle berufen sich auf Frater Barnabas  (1750-1795), den legendären Braumeister der Paulaner in München.

„Herr Schröder, im Kanzlerwahlkampf: Nie sagen, dass Sie bei der SPD sind! Halten Sie sich an den Herrn Ude, der lässt sich das schon lange nicht mehr anmerken.“ [Erich Hallhuber, 1998)]

Der erste Salvatorredner, der in der als Bruder Barnabas auftrat, war Max Grießer  (1992–1996). Ihm folgte Erich Hallhuber  (1997–1998). Weil Hallhuber auf der Freiheit bestand, den Text des Redenschreibers (Hannes Burger) ändern zu dürfen, dieser aber nicht damit einverstanden war, sagte Hallhuber 1999 kurzfristig seinen Auftritt ab. Zu seinem Nachfolger wurde der Kabarettist Gerd Fischer  (1999–2003).

---

Mit dem Kabarettisten Bruno Jonas  (2004–2006) wurden die Fastenpredigten wieder scharfzüngiger.

Bruno Jonas in der Mönchskutte (2004)

„Edmund Stoiber ist der einzige Politiker, der es geschafft hat, in einem Jahr vom Kanzlerkandidaten zum Wahlhelfer zu werden. Das ist ungefähr so, als würde man von einem Ferrari auf einen Traktor umsteigen.“ [Bruno Jonas, 2005]

---

2007 hielt der niederbayerische Kabarettist Django Asül  ohne Mönchskutte die Fastenpredigt.

„Wie nah Sekret und Sekretär einander sind, zeigt ja die Schleimspur, die Söder hinterlassen hat.“ [Django Asül, 2007]

Nach dieser Rede, die als politisch zu scharf gewertet wurde, stieg der niederbayerische Kabarettist aus seiner Rolle als Fastenprediger aus.

---

2008 folgte ihm (bis 2010) der ehemalige Stoiber-Doppelgänger Michael Lerchenberg , wieder als Bruder Barnabas.

„Sie sind ja Protestant. Wie das schon klingt, fast schon wie Hausbesetzer oder Transrapidgegner.“ [Michael Lerchenberg über Günther Beckstein, 2008]

„Wenn so ein anderer Demokrator wie der kleine Berlusconi so zynische und selbstverliebte Witzerl macht, ist das ja verständlich. Dem fehlen auch 20 Zentimeter zum Normalmaß – körperlich und geistig. Aber Sie, Herr Seehofer, sind doch 20 Zentimeter über dem Normalmaß – körperlich.“ [Michael Lerchenberg, 2009]

„Alle Hartz-IV-Empfänger versammelt er in den leeren, verblühten Landschaften zwischen Usedom und dem Riesengebirge, drumrum ein großer Zaun. Über dem Eingangstor werde in großen eisernen Lettern stehen: 'Leistung muss sich wieder lohnen'.“ [Michael Lerchenberg über Guido Westerwelle 2010)].

Wegen dieser Aussage, die Westerwelle in die Nähe eines KZ-Wächters rückte und öffentliche Empörung verursachte, sah sich Michael Lerchenberg (wie auch sein Vorgänger) gezwungen, aus seiner Rolle als Fastenprediger zurückzutreten. Mit ihm trat auch der Co-Autor Christian Springer zurück.

Von 1982 bis 2003 (also von Walter Sedlmayr bis Gerd Fischer) hatte der Journalist und Schriftsteller Hannes Burger  die Festreden verfasst. Ab 2004 schrieben die Festredner ihre Beiträge wieder selbst. Co-Autor der Fastenpredigten in den Jahren 2008 bis 2010 war der Kabarettist Christian Springer.

---

Von 2011 bis 2018 hielt Luise Kinseher die Salvatorrede; sie war damit die erste Frau, die die Rede hielt. Somit trat sich nicht als Mönch, sondern als „Mama Bavaria“ auf.

„Sollte doch einer der anwesenden, amtierenden Politiker tatsächlich noch in die bayerische Geschichte eingehen, wird dank dem Ludwig Spaenle keiner davon erfahren. Zumindest nicht im Unterricht.“ [Ilse Kinseher, 2015)]

2018 – Fastenpredigt der Mama Bavaria (Luise Kinseher)

„Markus Söder und Horst Seehofer sind jetzt befreundet. Also nicht miteinander, aber es ist schon mal ein Anfang.“ [Mama Bavaria (Luise Kinseher), 2018]

„Erst verschwanden die Wirtshäuser, dann der Kiebitz und jetzt auch noch die absolute Mehrheit der CSU.“ [Mama Bavaria (Luise Kinseher), 2018]

---

Luise Kinsehers Nachfolger und bisher jüngster Redner wurde 2019 der Allgäuer Maxi Schafroth . 2020 fiel die Veranstaltung wegen COVID aus, 2021 fand die Rede Schafroths erstmals digital und ohne Zuschauer vor Ort statt. Wegen des Kriegs in der Ukraine wurde der Nockherberg 2022 abgesagt.

2021 – Fastenpredigt von Maxi Schafroth

„580 Millionen, da hätte der Gerd Müller einen ganzen Kontinent vom Hunger befreien können.“ [Maxi Schafroth]

„Natürlich hat man Angst vor Elektroautos und Stromtrassen, wenn man als Kind übern elektrischen Weidezaun bieslt hat.“ [Maxi Schafroth zu Hubert Aiwanger]

„Schwarz-Grün mit dem Markus, das ist ja so, wie wenn die Katharina (Schulze) ein Praktikum bei Shell absolviert.“ [Maxi Schafroth]

---

Der Starkbieranstich  auf dem Münchner Nockherberg ist allerdings nicht die einzige Veranstaltung, in der Bayerns Politikereliten verspottet werden. Dies Tradition kann man auch auf dem jährlich stattfindenden Maibockanstich  im Hofbräuhaus erleben. Jedes Jahr lädt der bayerische Finanzminister als Eigentümer des Hofbräuhauses zu dem Ereignis ein und muss dabei nicht nur ein Fass anstechen, sondern auch immer wieder das älteste Bockbier Münchens würdigen. Auch hier wird die anwesende politische Prominenz aufs Schärfste derbleckt. Seit 2008 ist Django Asül hier als Redner verpflichtet.

Django Asül, Maibock 2023

„Andy Scheuer hat gesagt: Wir von der CSU wollen die Ausländer anhalten, in der Öffentlichkeit und zu Hause nur noch Deutsch zu sprechen. Gab viel Ärger. Einen Tag später ist er bissl zurückgerudert: Jaaa, eigentlich wollen wir die Ausländer nur anhalten.“ [Diango Asül, Maibock 2015]

„Als sie (Margarete Bause von den Grünen) in China war, hat sie den Dissidenten Ai Weiwei getroffen. Jetzt werden die Chinesen auch einen Dissidenten treffen wollen, wenn sie Bayern besuchen. Aber das Problem ist: Der Gauweiler hat ja nie Zeit.“ [Diango Asül, Maibock 2015]

BUCHTIPPS:
Politiker derblecken beim Salvator
	Hannes ist langjähriger BR-Radio-Kommentator, Texteschreiber für Fernsehglossen und seit 1982 Verfasser der Salvatorreden am Nockherberg. Seine spitze Feder und sachliche Kompetenz brachten ihm zahlreiche Preise und Auszeichnungen ein, unter anderem die Ludwig-Thoma-Medaille der Stadt München, das Bundesverdienstkreuz, einen Österreichischen und und den Bayerischen Verdienstorden.
Donner und Blitz auf dem Nockherberg
	Der „Skandal“ um die Freiheit der Kunst Ein Vierteljahrhundert hat Michael Lerchenberg das alljährliche Politiker-Derblecken auf dem Münchner Nockherberg entscheidend mitgeprägt. Unvergesslich seine Auftritte als Edmund Stoiber. Ab 2008 setzte er als Bruder Barnabas für die Rolle des Fastenpredigers neue Maßstäbe, bis er 2010 mehr Ecken und Kanten entwickelte, als der Politik lieb war.

---