24. JUNI 2020
Die Balanstraße kennt jeder Münchner! Im Bereich des Rosenheimer Platzes kannte ich sie selbstverständlich auch. Dass sie aber jenseits des Mittleren Ringes und der Ständlerstraße rasch verkehrsarmer wird und sich kurz darauf quasi im landschaftlichen Nichts im Stadtteil Fasangarten auflöst, das wusste ich nicht.
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Der Fasangarten ist ein Stadtteil Münchens, der einst zu Perlach gehörte, seit Langem aber schon zum Stadtbezirk 17 Obergiesing-Fasangarten, dessen südlichen Teil er bildet. Der Fasangarten stellt eine geruhsame und grüne Wohnlage dar, und weil er auch S-Bahn-Station (S3) ist, ist er gut erreichbar. Auch wegen einiger sehenswerter Bauten lohnt ein Besuch.
In der Kleingartenanlage Süd-Ost 7
Zur Stärkung ist vorweg eine Brotzeit erforderlich! Der Nachmittag ist lang und ich werde viel herummarschieren. Aus purem Zufall entdecke ich eine Kleingartenanlage – unglaublich wie viele davon es in München gibt! – mit einer kleinen Gaststätte, dessen Biergarten sich teils im Schatten großer Bäume befindet und, bis auf eine Gruppe älterer Herren, die am Nebentisch über Gott, die Welt und den FC Bayern diskutieren, idyllisch leer ist.
In der Gaststätte „Zur Gartenlaube“
Mein Spaziergang beginnt in der Fasangartenstraße beim griechischen Restaurant Barka, dem ehemaligen Gasthaus Försterhaus. Das Gebäude ist in der Bayerischen Denkmalliste aufgeführt als zweigeschossiger Mansardwalmdachbau mit Zwerchhaus und neubarocken Gliederungselementen und Reliefs. Baujahr 1901.
Restaurant Barka
Der Name des Stadtteils rührt von einem ehemaligen Forsthaus bei Perlach, dem seit Beginn des 18. Jahrhunderts bis ins Jahr 1805 eine Fasanenzucht angegliedert war.
Zwischen den S-Bahngleisen und der Autobahn A8 sowie rechts und links der Fasangartenstraße sind schmucke Einfamilienhäuser zu sehen. Die Einfamilienhaus- und Kleinsiedlungsstruktur mit viel Grünflächen und die Ruhe, die dieser innewohnt, machen die Gegend äußerst attraktiv und einen Besuch lohnenswert.
Vorgarten-Idylle
Wenn man die Kiesmüller Straße (eine Seitenstraße der Fasangartenstraße) in Richtung Süden geht, kommt man zum Kulmbacher Platz, einem schönen ruhigen Platz, der zum Innehalten einlädt. Man wähnt sich in einem kleinen Dorf irgendwo in Bayern. Hier steht die nach der Heiligen Maria, der Schutzpatronin Bayerns, benannte, ebenfalls unter Denkmalschutz stehende Kapelle Patrona Bavariae. Es handelt sich um eine 1924–1925 vom Architekten Georg Berlinger gebaute Votivkapelle: Putzbau mit Satteldach, dreiseitigem Abschluss und Dachreiter mit Zwiebelhaube, barockisierend.
Kapelle „Patrona Bavariae“
Spaziert man nur knappe 100 Meter weiter in Richtung Süden, verstärkt der Blick auf ein weites, unbebautes Areal, das sogenannte Kapellenfeld, diesen Eindruck von fast ländlicher Idylle. Doch Gefahr droht! Die Gemeinde Neubiberg und die Landeshauptstadt München erwägen eine Bebauung des Areals. Und auf das Kapellenfeld, in dessen Süden bereits das Infineon-Campeon angesiedelt ist, bekundete bereits eine Firma Interesse an einer Gewerbeansiedlung.
Das Kapellenfeld
Die Grünen aus Stadt und Landkreis warnen vor einer etwaigen Bebauung im regionalen Grünzug. Die kühlende Luft aus dem Alpenvorland könnte auf dem Weg nach München just in Neubiberg gestoppt werden. Diese Pläne stoßen vor allem in Unterhaching auf massive Kritik. Die Gemeinde hofft auf Unterstützung von der Regierung von Oberbayern, die die Frischluftschneise für München unbedingt schützen will.
Welche Überraschung! Gegenüber des Restaurants erscheint vor meinen Augen – als wäre ich in eine andere Gegend Europas eingetaucht – der elegante Bau einer Holzkirche. Die Rumänisch-Orthodoxe Kirche „Maria Verkündigung“ ist von unten bis hinauf zum Turm aus Holz gefertigt, geschnitzt von Meistern aus der Maramuresch, einer Berglandschaft im Norden von Siebenbürgen.
Rumänisch-Orthodoxe Kirche „Maria Verkündigung“
Die Weihe der Kirche erfolgte im Dezember 2016. Damit hat die rumänisch-orthodoxe Gemeinde – etwa 14.000 Rumänen leben in München und Umgebung – ein Stück Heimat in München aufgebaut. Holzkirchen wie diese haben von jeher Rumäniens Dörfer geprägt. Von außen betrachtet fallen gleich die kunstvollen Schnitzereien am Eingangstor auf. Die gesamte Inneneinrichtung, darunter die Stühle entlang der Wände, wurden aus Lindenholz geschnitzt. Im Inneren schmückt die typische Ikonenmalerei die Wände. Was ich leider – die Kirche ist verschlossen – heute nicht bestaunen kann.
Kunstvoll geschnitzter Zaun
Pfarrer Simion Felecan, 1944 in Nordsiebenbürgen geboren, war den Weg gegangen, den vieler seiner Landsleute während der Herrschaft des Diktators Ceasescu auch gegangen waren, er kehrte von einer Auslandsreise nicht mehr zurück und beantragte Asyl in Deutschland. In München stieß er auf die von Exil-Rumänen gegründete Gemeinde „Mariä Verkündigung“. 1995 wurde der Beschluss gefasst, die Kirche zu bauen.
Die wichtigste Spende kam von Johann Christian Kunst, einem Banater Schwaben, der 1944 als deutscher Soldat in die Hände der Roten Armee gekommen war, und seine Flucht zwei rumänischen Offizieren verdankte, die zur sowjetischen Armee gehörten, aber bis zum 23. August 1944 noch an der Seite Deutschlands gekämpft hatten.
Weil die Bahnstrecke München-Ost - Holzkirchen wegen der Unterführung der Fasangartenstraße tiefergelegt wurde, konnte der ehemalige Bahnhof mangels Zugangsmöglichkeit zu den Gleisen seiner Aufgabe nicht mehr nachkommen. Das alte, auf der Denkmalliste stehende Gebäude von 1900 fungiert seit Dezember 2008 als Gemeindehaus der Rumänisch-Orthodoxen Kirchengemeinde.
Der ehemalige Bahnhof
An der Fasangartenstraße im Süden steht noch das alte Forsthaus, dem früher eine Fasanenzucht angegliedert war, die dem Wohnbereich mit schmucken Einfamilienhäusern zwischen den S-Bahngleisen parallel der Balanstraße und der Autobahn A8 den Namen gab.
Forsthaus Fasangarten
Direkt gegenüber dem Forsthaus führt die Marktlandstraße in Richtung Norden. Ich folge ihr für etwa 150 Metern, dann zweige ich ab in den General-Kalb-Weg.
Für Interessierte: Johann von Kalb war ein deutsch-amerikanischer General, dem 1779 George Washington während der Amerikanischen Revolution den Oberbefehl über die Divisionen von Maryland und Delaware übertrug, um die Stadt Charleston zu schützen.
Der etwa 900 Meter lange Weg führt mitten durch einen dichten Wald, dessen Schatten das Spazieren äußerst angenehm gestaltet. Dennoch gilt der Weg als Weg der Angst. Denn hier wurde im Mai 2013 eine junge Frau von einem unbekannten Täter brutal vergewaltigt. Die Polizei fahndet noch immer nach dem Täter.
Kurz vor dem Erreichen des nördlichen Endes des General-Kalb-Weges trifft man auf die Gebäude der Städtischen Berufsschule für Versicherungs- und Personalwesen. Das wäre zwar nichts von besonderem Interesse, wäre da nicht die intensive Farbgebung der barackenähnlichen Bauten selbst. Das entbehrt nicht eines gewissen optischen Reizes.
Der General-Kalb-Weg endet an der Lincolnstraße. Etwa 20 Meter in Richtung Westen und ich stehe vor einer außergewöhnlichen Konstruktion: Kein einziger rechter Winkel, keine einzige gerade Außenwand ist zu sehen – das Äußere des Gebäudes besteht ausschließlich aus Rundungen. Das Ende 2017 eröffnete Altenpflegeheim der Arbeiterwohlfahrt (AWO) ist die Nachfolgeeinrichtung des Sozialzentrums Giesing und liegt eingebettet im naturwüch­sigen Biotop eines kleinen Föhrenwäldchens.
Grund für die ungewöhnliche Form soll der geschützte Baumbestand am Baugrund gewesen sein. Die Architekten mussten um die Bäume herum planen. Ich bin moderner Architektur gegenüber eher skeptisch eingestellt, den AWO-Föhrenpark finde ich auf jeden Fall ein gelungenes Stück Architektur. Es wurde gesagt, es sei vielleicht die schönste Senioreneinrichtung Europas, die schönste Einrichtung Südbayerns ist es vermutlich schon: ein Seniorenheim mit Pflegeplätzen, betreutem Wohnen und Appartements für Mitarbeiter.
Wenige hundert Schritte weiter in Richtung Westen stehe ich vor einem weiteren interessanten Gebäude, diesmal einer Kirche. An der Form der Kuppeln und der Kreuze erkenne ich, dass es sich um ein orthodoxe Kirche handeln muss, obwohl verschiedene Merkmale mich eher an eine Kirche denken lässt, wie man sie in amerikanischen Westernfilmen sieht, die in Mexiko spielen.
In der Tat handelt es sich um die – voll ausgeschrieben – Russisch-orthodoxe Kathedralkirche der Hl. Neumärtyrer und Bekenner Russlands und des Hl. Nikolaus. Es ist das Zentrum der russisch-orthodoxen Kirchengemeinde in München.
Kathedrale der Hll. Neomärtyrer und des Hl. Nikolaus
Die „Perlacher Forst Chapel“ genannte Kirche war bis 1993 in Besitz der US-amerikanischen Streitmacht. Nach der Reduzierung der Truppenstärke der Amerikaner in Deutschland kaufte die russisch-orthodoxe Kirchengemeinde das Grundstück und das Kirchengebäude im „amerikanisierten Gotikstil“ für rund eine Million DM und baute die Kirche um. Die russisch-orthodoxe Kathedralkirche ist heute ein wichtiger Teil des russisch-orthodoxen Lebens in München.
2012 fand hier die Heiligsprechung des 1943 hingerichteten Deutsch-Russen Alexander Schmorell statt, der zusammen mit anderen Mitgliedern der Weissen Rose am benachbarten Friedhof beigesetzt wurde.
BUCHTIPP: | |
Amis in Giesing: München 1945 - 1992 | |
Die Einrichtungen der US-Army prägten ein halbes Jahrhundert lang den Münchner Lebensalltag. Schon bald nach Kriegsende wurde die vormalige Reichszeugmeisterei an der Tegernseer Landstraße als McGraw-Kaserne zum Sitz der US-Militärregierung. Hier gab es auch Sportanlagen, Vergnügungsstätten und die University of Maryland. Zahlreiche weitere Gebäude entstanden im „Little America“ am Perlacher Forst und in Ramersdorf: vom Kindergarten bis zum Kino. | |
Während der südliche und der östliche Teil des Fasangartens einen eigenständigen, überwiegend von Einfamilienhäusern geprägten Charakter aufweist, findet man im großen Areal südlich der Lincolnstraße eine große Anzahl von langen, schmalen Wohnblöcken, reizlose Mietskasernen, die ich intuitiv unter „sozialem Wohnungsbau“ einordne. Was mich allerdings erstaunt, ist das waldartig ausgeformte grüne Umfeld, welches Distanz zwischen den Wohnzeilen schafft.
Siedlung am Perlacher Forst
Mehr Grün und mehr räumliche Großzügigkeit lassen den Eindruck von anonymen Großwohnsiedlungen verschwinden. Das Leitbild der Architekten muss das einer durchgrünten und aufgelockerten Stadt mit einer großzügigen inneren Freiraumstruktur gewesen sein, die fast einen Waldcharakter bekommen sollte. Die einzelnen Wohnblöcke liegen wie Inseln in der Landschaft, sie verschwinden fast, voneinander optisch getrennt zwischen Waldfragmenten.
Siedlung am Perlacher Forst
Auch die Namen der Straßen (General-Kalb-Straße, Lincolnstraße, Cincinnati-Straße, Pennstraße, ...) verraten es. Die Siedlung am Perlacher Forst (im Volksmund „Ami-Siedlung“ genannt) ist eine typisch amerikanische Siedlung mit breiten, geschwungenen Straßen und mit mehrgeschossigen Wohnungsbauten als Mannschaftsunterkünfte und kleineren Doppel- und Reihenhäusern für Offiziere. Sie wurde ab 1953 auf einer eigens dafür abgeholzten Waldfläche des Perlacher Forstes errichtet, um den Wohnraumbedarf der amerikanischen Besatzungssoldaten zu decken. Die Siedlung ist integraler Bestandteil des Fasangartens.
Siedlung am Perlacher Forst
Die damals fast völlig autarke Siedlung verfügte über eigene Schulen, Einzelhandel und das Filmtheater Cincinnati. In der Cincinnatistraße war auch die amerikanische Schule, die dem Schulzentrum Perlacher Forst gewichen ist, doch noch immer erinnern zwei Tierfiguren an die amerikanische Zeit: Die steinerne Pferdeskulptur „Munich Mustang“ war das Symbol der amerikanischen Schule.
Den kleine Elefant aus Bronze vor der Schule – heute die Grundschule – ist auch geblieben. Es war Tradition, dass jeder Abschlussjahrgang den Elefanten bunt bemalte. Eine Tradition, die 2015 wiederbelebt wurde.
Nach dem Abzug der Amerikaner wurde die komplette Siedlung von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BIMA) übernommen, die einzelne Liegenschaften mittlerweile an private Eigentümer verkauft hat. Cincinnati (im US-Bundesstaat Ohio) ist auch heute noch Partnerstadt von München.
BUCHTIPP: | |
München: Die Stadtviertel in Geschichte und Gegenwart | |
Das Buch erzählt auf 320 Seiten die Geschichten von Menschen, Plätzen und Ereignissen aus den Münchner Stadtvierteln. Dazu ganz persönliche Tipps der SZ-Redakteure und Wissenswertes aus Historie und Gegenwart der Münchner Stadtteile. | |