AM HEIZKRAFTWERK MÜNCHEN NORD
7. DEZEMBER 2020: Als ich – rechts von mir der Englische Garten und der Aumeister – den Föhringer Ring in Richtung Osten fahre, sehe ich sie schon von der Weite, die rauchenden Schlote des Heizkraftwerks München Nord. Grauer Rauch vor einem weiß-blauen Himmel, wie man ihn fast nur in den Werbeprospekten des Bayerntourismus sieht. Eigentlich ein fast ästhetischer Anblick.
Heizkraftwerk München Nord
Mein Interesse wird durch diese quasi wetterbedingte „Industrie-Ästhetik“ geweckt und es zieht mich unwiderstehlich zum Kraftwerk hin, auch wenn ich diesen keinesfalls so ansprechend finde wie viele historische Industriebauten. Objektiv gesehen handelt es sich um einen hässlichen Klotz.
Unmittelbar in der Nähe des Kraftwerks ist eine kleine Siedlung, nur eine Reihe von adretten Einfamilienhäusern, die sich an eine Straße, die Ringstraße, schmiegen. Meidet man den Blick auf das Kraftwerk – was nicht leicht fällt –, könnte man einen Eindruck von Vorstadtidylle gewinnen: kleine schmiedeneserne Zäune, Vorgärten, Sichtschutzhecken, Büsche, vereinzelt Bäume.
Ganz so idyllisch ist es freilich nicht, schließlich gelangen durch die Schlote jährlich etwa 1,7 Millionen Tonnen Kohlendioxid in die Luft, was mehr ist als das, was vom gesamten Verkehr des Mittleren Rings verursacht wird. Einen großen Teil der Belastung, etwa durch Staubemission, bekommen Ober- und Unterföhring, Ismaning, Aschheim und die nördlichen Stadtbezirke von München ab.
Wenn ich es genau betrachte, hat diese Siedlung etwas Paradoxes. Sie ist umzingelt von lärm- oder schmutzerzeugenden Quellen. Im Norden eine von Güterzügen befahrene Eisenbahnstrecke, im Westen die dichtbefahrene Münchner Straße, im Süden der Föhringer Ring, über den sich täglich fast 47 000 Autos und Lastwagen welzen. „Last but not least“ das Kraftwerk. Eine Wohngegend?
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Und doch: Als ich die Ringstraße auf- und abgehe, verflüchtigen sich diese Gedankem über die „Bewohnbarkeit“. Die rauchenden Schornsteine verwandeln sich wie von Zauberhand in Bestandteile eines architektonischen Ensembles und den zu erwartende Lärm, ich kann ihn kaum wahrnehmen.
Zwischen dem bebauten Areal und der Schnellstraße sorgen eine kleine Fläche mit einem Spielplatz sowie ein Lärmschutzdamm mit Bäumen für Abstand und Lärmdämpfung.
Der Föhringer Ring
Wie würde es hier aussehen, sollte eines Tages das Kraftwerk sillgelegt werden? Im Dezember 2015 hatte ein Bündnis aus 40 Organisationen und Parteien ein Bürgerbegehren zur Abschaltung des Kohlekraftwerks gestartet. Am 5. November 2017 fand der Bürgerentscheid „Raus aus der Steinkohle“ statt. 60,4 % – wenn auch bei geringer Beteiligung – stimmten dafür, den Kraftwerksblock zum 31. Dezember 2022 stillzulegen.
Man muss allerdings wissen, dass das Kraftwerk aus drei Blöcken besteht, die in Kraft-Wärme-Kopplung (Erzeugung von Elektrizität und Fernwärme) betrieben werden. Block 2 wird mit Steinkohle befeuert, in den Blöcken 1 und 3 wird Restmüll verbrannt. Wenn man also von Stillegung spricht, ist nur Block 2 gemeint.
Außerdem planen die Stadtwerke ersatzweise ein Gaskraftwerk mit 30-jähriger Laufzeit zu bauen. Das Monster würde also keinesfalls verschwinden. Dagegen regt sich kräftiger Widerstand seitens der Gemeinde, den Grünen und weiteren Organisationen, aus deren Sicht das Kraftwerk weder für die Strom- noch für die Fernwärme versorgung erforderlich ist. Der Unterföhringer Bürgermeister will zur Not klagen.
AKTUALISIERUNG MÄRZ 2024: Der Umrüstung des Heizkraftwerks Nord von Kohle- auf Gasbetrieb, die wegen des Kieges in der Ukraine ausgesetzt worden war, steht nichts mehr im Weg. Vertreter der Stadtwerke München haben in der jüngsten Sitzung des Klimarats ihre Pläne für die künftige Nutzung der Anlage dargelegt
Querschnitt der Wärmeverbundleitung
In der Nähe des Kraftwerks steht ein Modell mit einem Querschnitt des Rohrsystem der Fernleitung (Details), durch welches die thermische Energie (heißes Wasser) transportiert wird. Die Fernwärmeproduktion liefert den gesamten Bereich des Münchner Nordwestens. Es wird vom HKW Nord aus die Heißwassernetze Nord und Freimann versorgt, auch über eine über 7 km lange Fernleitung Dampf in das Innenstadt-Dampfnetz abgegeben.
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