MÜNCHNER  SPAZIERGÄNGE

STAND: JANUAR 2024


AM HEIZKRAFTWERK MÜNCHEN NORD


7. DEZEMBER 2020:  Als ich – rechts von mir der Englische Garten und der Aumeis­ter – den Föh­rin­ger Ring in Richtung Osten fahre, sehe ich sie schon von der Weite, die rau­chen­den Schlote des Heiz­kraft­werks Mün­chen Nord. Grauer Rauch vor einem weiß-blauen Himmel, wie man ihn fast nur in den Werbeprospekten des Ba­yern­tou­rismus sieht. Eigentlich ein fast ästhetischer Anblick.

Heizkraftwerk München Nord

Mein Interesse wird durch diese quasi wet­ter­be­dingte „Industrie-Ästhetik“ geweckt und es zieht mich un­wi­derstehlich zum Kraftwerk hin, auch wenn ich diesen keinesfalls so ansprechend finde wie viele historische In­dus­trie­bau­ten. Objektiv gesehen handelt es sich um einen hässlichen Klotz.

Karte neu laden mit        Karte vergrößern

Unmittelbar in der Nähe des Kraftwerks ist eine kleine Siedlung, nur eine Reihe von adretten Ein­fa­mi­lien­häu­sern, die sich an eine Straße, die Ring­straße, schmiegen. Meidet man den Blick auf das Kraftwerk – was nicht leicht fällt –, könnte man einen Eindruck von Vor­stadt­idylle gewinnen: kleine schmiedeneserne Zäune, Vor­gärten, Sicht­schutz­hecken, Büsche, vereinzelt Bäume.

Ganz so idyllisch ist es freilich nicht, schließlich ge­langen durch die Schlote jährlich etwa 1,7 Mil­lio­nen Tonnen Kohlendioxid in die Luft, was mehr ist als das, was vom gesamten Verkehr des Mittleren Rings verursacht wird. Einen großen Teil der Belastung, etwa durch Staub­emission, be­kom­men Ober- und Unterföhring, Ismaning, Aschheim und die nörd­li­chen Stadtbezirke von München ab.

Wenn ich es genau betrachte, hat diese Siedlung etwas Paradoxes. Sie ist umzingelt von lärm- oder schmutz­er­zeu­gen­den Quellen. Im Norden eine von Güterzügen befahrene Ei­senbahnstrecke, im Wes­ten die dicht­be­fah­rene Münchner Straße, im Süden der Föhringer Ring, über den sich täglich fast 47 000 Autos und Lastwagen welzen. „Last but not least“ das Kraftwerk. Eine Wohngegend?


BUCHTIPP:
Die Geschichte der Stadtwerke München
Die Autoren untersuchen die Rolle der Münchner Stadtwerke im Dritten Reich und darüber hinaus die große Transf­ormation von der defizi­tären Kommu­nal­behörde zum erfolgreichen In­fra­struk­tur­dienst­leis­tungs­konzern. Die Stadtwerke München schlu­gen dabei einen eigenen Weg ein, der nicht nur die Unab­hängigkeit von den großen Energie­konzernen sicherte, sondern sie auch um zum größten Kom­mu­nal­ver­sor­ger Deutschlands werden ließ.

Und doch: Als ich die Ringstraße auf- und abgehe, ver­flüchtigen sich diese Gedankem über die „Be­wohn­bar­keit“. Die rauchenden Schornsteine ver­wan­deln sich wie von Zauberhand in Be­stand­tei­le eines ar­chi­tek­to­nischen En­sembles und den zu erwartende Lärm, ich kann ihn kaum wahrnehmen.

Zwischen dem bebauten Areal und der Schnell­stra­ße sorgen eine kleine Fläche mit einem Spiel­platz sowie ein Lärmschutzdamm mit Bäumen für Ab­stand und Lärm­dämpfung.

Der Föhringer Ring

Wie würde es hier aussehen, sollte eines Tages das Kraftwerk sillgelegt werden? Im De­zem­ber 2015 hatte ein Bünd­nis aus 40 Organisationen und Par­teien ein Bür­ger­begehren zur Abschaltung des Koh­le­kraft­werks ge­star­tet. Am 5. November 2017 fand der Bürgerentscheid „Raus aus der Steinkohle“ statt. 60,4 % – wenn auch bei geringer Beteili­gung – stimmten dafür, den Kraft­werks­block zum 31. De­zember 2022 stillzulegen.

Man muss allerdings wissen, dass das Kraftwerk aus drei Blöcken besteht, die in Kraft-Wärme-Kopplung (Er­zeu­gung von Elektrizität und  Fern­wärme) be­trie­ben wer­den. Block 2 wird mit Steinkohle be­feu­ert, in den Blöcken 1 und 3 wird Rest­müll verbrannt. Wenn man also von Stillegung spricht, ist nur Block 2 gemeint.



Außerdem planen die Stadtwerke ersatzweise ein Gas­kraft­werk mit 30-jäh­riger Laufzeit zu bauen. Das Monster würde also keinesfalls ver­schwin­den. Da­ge­gen regt sich kräf­tiger Widerstand seitens der Ge­meinde, den Grü­nen und weiteren Or­ga­ni­sa­tio­nen, aus deren Sicht das Kraftwerk we­der für die Strom- noch für die Fern­wär­me versorgung er­for­der­lich ist. Der Un­ter­föh­ringer Bür­ger­meister will zur Not klagen.


AKTUALISIERUNG MÄRZ 2024: Der Umrüstung des Heizkraftwerks Nord von Kohle- auf Gasbetrieb, die wegen des Kieges in der Ukraine ausgesetzt worden war, steht nichts mehr im Weg. Vertreter der Stadtwerke München haben in der jüngsten Sitzung des Klimarats ihre Pläne für die künftige Nutzung der Anlage dargelegt 


Querschnitt der Wärmeverbundleitung

In der Nähe des Kraftwerks steht ein Modell mit einem Querschnitt des Rohrsystem der Fernleitung (Details), durch welches die thermische Energie (heißes Wasser) transportiert wird. Die Fern­wär­me­pro­duk­tion liefert den gesamten Bereich des Münch­ner Nordwestens. Es wird vom HKW Nord aus die Heißwassernetze Nord und Freimann versorgt, auch über eine über 7 km lange Fernleitung Dampf in das Innen­stadt-Dampf­netz ab­ge­ge­ben.  


BUCHTIPPS:
101 Dinge, die Sie über München wissen müssen
Dieses Buch der 101 Dinge ist der beste gemeinsame Nenner für alle München-Fans: eine sinnliche Entdeckungsreise durch die Isarmetropole und eine vergnügliche A- bis-Z-Gebrauchsanweisung für Stadt, Menschen und Geschichten.