IN DEN KIRSCHEN
12. MAI 2020: „In den Kirschen“ ist eine Straße und eine Grünanlage mit zahlreichen Kleingärten und einem Park mit weiten, offenen Wiesen im Münchner Westen. Im Frühling geben die vielen blühenden Kirschbäume an seinem Rand die Erklärung für den Namen. Auf eine der Wiesen gibt es einen Hubschrauberlandeplatz für das nahegelegene Krankenhaus „Dritter Orden“.
Und genau an diesem Krankenhaus in der Franz-Schrank-Straße beginnt – eher zufälligerweise – mein Spaziergang. Denn ich hatte vor einiger Zeit die Krankenhausgebäude aus der Zeit der Jahrhundertwende entdeckt, und mich hatte insbesondere ein Türmchen gefallen, dass ich unbedingt fotografieren wollte.
Unmittelbar an der In-den-Kirschen-Straße liegt das großes Zelt des Jugendübernachtungscamps THE TENT. Hier können Jugendliche aus aller Welt, die mit Rucksack, Handy und Notebook unterwegs sind, eine günstige Unterkunft finden. In der Backpacker-Szene erfreut sich der Camp großer Beliebtheit. Freilich ist jetzt wegen der Corona-Krise tote Hose. Die Organisatoren hoffen auf eine Wiedereröffnung noch im Juli.
Gleich neben dem Jugendcamp befindet sich eine Kleingartenanlage. Ich kann es mir nicht erklären, aber Schrebergärten üben seit immer eine magische Attraktion auf mich aus, zumindest als Zuschauer, der nicht den ganzen Sommer lang tagaus, tagein für das Wohlhaben von Blumen, Stauden und Gemüse sorgen muss.
Spießig oder cool? In meiner Kindheit in Italien hatte uns ein Bauer, der auf dem Grund einer alten verfallenen Villa Blumen züchtete, erlaubt, auf einer kleinen Fläche Tomaten zu pflanzen. Ich kann mich nicht erinnern, ob es von Erfolg gekrönt wurde.
In Deutschland gibt es knapp eine Million Schrebergärten in denen geschätzt fünf Millionen Menschen gärtnern. Und es sind keineswegs nur ältere Männer in Dreiviertelhosen, die jäten, graben und einen darauf aufmerksam machen, dass die Hecke nachgeschnitten werden müsse.
Die Pächter werden immer jünger. Kleingärten sind so beliebt wie nie. In Ballungszentren ist die Nachfrage so hoch, dass man Jahre auf das kleine Stück Gartenglück warten muss.
Einge dieser Gärten sind beladen mit allerlei Kitsch: Gartenzwerge und -drachen, Fabelwesen aus Metall, handbemalte Katzenbabys, Keramik-Schafe, Miniaturfeen, glänzende Dekokugeln, Gartenstecker mit Schmetterlivngen, Blumen, Zinkelfen, Windrädern, Vögel im Rost-Look und Froschkönige. Darf ich ehrlich sein? Ich kann mich nicht sattsehen!
Bei aller idyllischen Gemütlichkeit sind die Regeln zahlreich und streng: Öffnungszeiten, Ruhezeiten, Mindestflächen für den Anbau von Obst und Gemüse, Heckenhöhe, Verbot von Spül- und Waschmaschinen, von Hunde- und Katzenhaltung. In anderen Worten: Blütenpracht und beschauliches Ambiente haben ihren Preis.
An der Gaststätte „Zur Waldhütte“ angekommen zweige ich vom Weg ab und begebe mich ins sogenannte „Kapuzinerhölzl“, ein 18 Hektar großes Wäldchen, in dem ein kleiner Teil des Lohwaldes noch bewahrt ist, der früher den Norden und Westen Münchens umgab.
Von der Idylle in den Urwald! Ich bin völlig überrascht, hier einen so beeindruckenden, ursprünglichen und fast bedrohlich wirkenden Wald zu finden.
Passend zu diesem Ambiente ist ein Ereignis, das 2014 für Aufregung sorgte: Ein Leichenfund! Ein Unbekannter fand die Tote ein Jahr nach dem Tötungsdelikt und informierte die Justiz mit einem anonymen Schreiben. Das zeigt, dass es auch in diesem relativ kleinen Wald Gebiete gibt, die kaum zugänglich sind. Die Leiche wude von ihrem Mörder – nein, nicht der Gärtner, sondern der Freund des Opfers – in der Nacht unbemerkt mit seinem Auto ins Kapuzinerhölzl gebracht, komplett ausgezogen und in Embryostellung in einer Baumkuhle verscharrt.
An einem kleinen Parcour für Mountainbiker vorbei ist es nur ein kurzer Weg bis zur Schragenhofstraße, die weiter nach Moosach führt. Parallel dazu verläuft eine Eisenbahnstrecke und dahinter befindet sich der Hartmannshofer Park, in dem ein charmantes Retaurant mit Biergarten, die „Fasanerie“, liegt, ein wahrer Geheimtipp, fernab von Touristenströmen und städtischer Hektik.
Ich gehe nur ein paar hundert Meter die Straße entlang, dann, auf der Höhe der „Osteria antica“, biege ich wieder in den Weg „In den Kirschen“ ein. Das Areal hat in meinen Augen nicht so sehr den Charakter eines Stadtparks, vielmehr empfinde ich es als eine offene Landschaft, die eben so gut fernab der Stadt zu finden wäre. Eine Landschaft der Enspannung, mit bereits sommerlich anmutenden Wiesen und vielen frühlingsgrünen Laubbäumen.
Mein Weg zurück führt an weiteren Kleingärten vorbei, über eine große impressionistisch anmutende Wiese voller lila-leuchtesem Wiesen-Salbei und zum Gebäude der Berufsschule für Gartenbau und Floristik.
Mir waren bereits an verschiedene Stellen des Weges Reihen von buntbemalten Steinen aufgefallen, die den Wegesrand säumten. Vermutlich eine spontane Land-Art-Aktion.
Ein kleines Schild mit dem Text: „Hallo Ihr Lieben, malt doch zu Hause einen Stein an und legt ihn dazu. Mal sehen wie lange die Schlange wird.„ fordert dazu auf, bei diesem Kunstprojekt mitzumachen.
Am Anfangspunkt meines Spaziergangs weist eine Tafel auf die Friedens-Meile hin, die 1986 vom Sri Chinmoy Marathon Team gestiftet und von der Stadt München in der Parkanlage "In den Kirschen" eingerichtet wurde. Sie soll Symbol und Inspiration für das Streben aller Menschen nach Frieden sein. Die Friedens-Meile ist ein schön gelegener, flacher Rundkurs mit befestigte Wege im sehr guten bis guten Zustand.