WISSENSWERTES

STAND: JANUAR 2024


DIE KATAKOMBENHEILIGEN


18. MAI 2023

Das erste Mal, dass ich in einer Kirche ein prunkvoll geschmücktes menschliches Skelett bewusst wahr­ge­nommen habe – es war in der römisch-katholischen Basilika Mondsee  im österreichischen Salz­kam­mer­gut –, war mir dessen Anblick zwar etwas unbehaglich und ich konnte mir nicht erklären, was diese Zur­schau­stel­lung für einen Sinn haben könnte, ich muss aber zugeben, dass ich es keinesfalls ver­stö­rend fand, und der gruselige Anblick des Totenschädels und der Gebeine rief kaum ein Gefühl von Ehr­furcht und Demut bei mir hervor. Ich fühlte mich auch kaum an die Vergänglichkeit des Lebens und an mei­ne eigene Endlichkeit erinnert. Ganz im Gegenteil: Eine gewisse Faszination hatte mich ergriffen. Es war sicherlich ein ganz anderer Eindruck als der, den die Skelette in den Katakomben von Palermo hinterlassen, natürliche Mumien, die unter dem Kapuzinerkloster in Palermo aufbewahrt werden. Da kann man in der Tat düstere Gedanken nicht vermeiden.

Diese Faszination mag daran liegen, dass es sich bei diesen menschlichen Überresten um ganz besondere Reliquien handelt – die sogenannten Katakombenheiligen oder Heiligen Leiber. Diese bestehen aus den sterblichen Überresten vermeintlicher christlicher Märtyrer und werden in einem würdevollen Rahmen aus­gestellt, der mit religiösen Symbolen, Kerzen oder anderen Elementen geschmückt ist. In gläsernen Schau­sar­ko­phagen werden die Ka­ta­kombenheiligen der Öffentlichkeit präsentiert, reich mit Gold, Edelsteinen und Sti­cke­reien verziert. Die Gebeine sind in kostbare Stoffe wie Samt und Seide eingewickelt und mit Gold­fä­den, Perlen und Spitzen geschmückt. In manchen Fällen wurden die Augen aus kunstvoll gefertigten Glassteinen oder Edelsteinen nachgebildet.


Seit vielen Jahrhunderten findet man in zahlreichen bayerischen Kirchen diese „Heiligen Leiber“, die von einem äußerst kuriosen Kapitel der katholischen Kirche erzählen. Es han­delt sich dabei um die Ganz­kör­per-Reliquien frühchristlicher Märtyrer, die aus den Ka­ta­kom­ben Roms in bayerische Kirchen und Klöster gebracht wurden.

Alberto Martire (Schlosskirche Burgrain)

Die Katakombenheiligen waren unbekannte Personen aus der Zeit des frühen Chris­ten­tums, deren Gebeine zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert in großer Zahl aus den Ka­ta­kom­ben in Rom entfernt wurden. Die ka­tho­lische Kirche erklärte alle aus den Ka­ta­kom­ben geborgenen Skelette pauschal zu Märtyrern. Diese sogenann­ten Ka­ta­kom­ben­hei­lige wurden besonders in die deutschsprachigen Gebiete nördlich der Alpen als Reliquien verkauft.

Um die Bedeutung dieses Phänomens zu verstehen, ist es wichtig, die große Wertschätzung zu betrachten, die Reliquien innerhalb der katholischen Kirche hatten. Reliquien werden als physische Überreste oder Ge­gen­stände von Heiligen angesehen. Die katholische Kirche glaubt an die besondere Nähe der Heiligen zu Gott und ihre Funktion als Fürsprecher und Vorbilder im Glauben. Durch die Verehrung von Reliquien werden Gläu­bi­ge ermutigt, eine Verbindung zu den Heiligen herzustellen, ihre Fürsprache zu suchen und sie als spi­ri­tuel­le Begleiter anzuerkennen.

Hl. Benedikt (St. Michael in Berg am Laim)

Auch der Glaube an die Auferstehung spielt dabei eine Rolle: Die katholische Lehre besagt, dass der Körper als Teil der Schöpfung Gottes heilig ist und zur Auferstehung bestimmt ist. Reliquien symbolisieren die Überreste der Verstorbenen und erinnern daran, dass der Kör­per ein wichtiger Teil der menschlichen Identität und der Hoffnung auf Auferstehung ist.

Bis ins 7. Jahrhundert wurden die Gräber der Märtyrer in Rom als heilig betrachtet und blieben unberührt, bevor sie gelegentlich von Papst Theodorus in andere Kirchen überführt wurden. Erst als die Langobarden die Stadt bedrohten, begann der größere Transfer von Reliquien in die römischen Stadtkirchen.

Im 8. Jahrhundert begann eine bedeutende Phase der Reliquienüberführungen von Rom in die Alpenregion. Kirchen und Klöster wurden mit kostbaren römischen Reliquien aus­ge­stat­tet, was zu einer regen Wall­fahrts­kul­tur führte. Die heiligen Gebeine erwiesen sich als äußerst wirksam für die Gläubigen, da sie Wun­der vollbrachten und in Zeiten der Not Hil­fe gewährten. Jedoch erlitten viele dieser frühen Wallfahrten spä­tes­tens mit dem Auf­kom­men der Reformation einen Rückgang.

Die Verehrung der Katakombenheiligen hat ihren Ursprung im Konzil von Trient (1545–1563), einem wichtigen Kirchenkonzil der katholischen Kirche. Es wurde einberufen, um auf die Herausforderungen der Reformation – zur Erinnerung: Der Beginn der Reformation wird traditionell auf 1517 datiert –, zu reagieren und Reformen in der Kirche durchzuführen.

Hl. Clemens (St. Michael in Berg am Laim)

Während des Konzils von Trient wurde die Bedeutung der Heiligen und der Reliquien in der katholischen Kirche bekräftigt. Die Heiligen wurden als Vorbilder im Glauben betrachtet und ihre Reliquien als heilige Überreste verehrt. Die Überreste der Märtyrer, die in den Ka­ta­kom­ben von Rom gefunden wurden, erlangten dabei eine besondere Bedeutung. Um den katholischen Glauben zu stärken und die Verehrung der Heiligen zu fördern, wurden Geist­li­che beauftragt, nach Rom zu reisen und Reliquien, einschließlich der Überreste der Mär­ty­rer, aus den Katakomben zu sammeln. Diese Reliquien wurden nach Bayern und an­de­ren Gebieten gebracht und in Kirchen und Kapellen zur Verehrung ausgestellt.

Details (Hl. Clemens)

Die großangelegte Überführung von Reliquien aus Rom wurde durch den Einsturz eines Weinbergs an der Via Salaria im Jahr 1578 ausgelöst, der eine vergessene Katakombe freilegte. Um an Reliquien zu gelangen, musste man sich an einen Kurialprälaten in Rom wenden. Bei positiver Antwort seitens der kirchlichen Stelle wurde die Katakombe geöffnet, die Reliquien wurden entnommen und von einem Kurialbischof mit einer Echtheitsbescheinigung versehen. Der Transport der Reliquien und ihrer Beigaben über die Alpen erfolgte durch Rompilger. Dieser erste Schritt der Beschaffung des heiligen Körpers wurde als Illation bezeichnet, und es wurde eine Urkunde darüber von einem apostolischen Notar erstellt.

Heilige (Berg in der Oberpfalz) (*)

Nachdem ein Konvent gefunden wurde, der die Reliquien schmücken sollte, wurden dort die Siegel aus Rom unter Zeugen geöffnet. Die Gebeine wurden gereinigt und in einem Reliquiar angeordnet. Fehlende Kno­chenstücke wurden durch Holz ersetzt. Zum Schmuck dienten kostbare Stoffe, Edelsteine und Gold­dräh­te. Sobald die Erlaubnis des Bischofs kam, wurde ein Termin für die feierliche Übertragung (Trans­la­tion) be­stimmt. Diese erfolgte meist in einer Prozession. Der Schrein wurde dann auf einem Altar zur Ver­eh­rung aus­gestellt.

Die Katakombenheiligen waren somit nicht nur Reliquien, sondern auch Kunstwerke und Zeugnisse des ba­rocken Glaubens. Sie sollten die Gläubigen an das Martyrium und die Auferstehung der Heiligen erinnern und ihnen Hoffnung und Trost spenden. Sie sollten auch die Macht und den Reichtum der katholischen Kirche demonstrieren und ihre Gegner beeindrucken. Sie sollten schließlich auch die Bindung zwischen Rom und den deutschen Ländern stärken und eine gemeinsame Identität stiften.

Burgrain Reliquien (Gebeine) von Katakombenheiligen

Handelt es sich bei den Katakombenheiligen wirklich um von der katholischen Kirche offiziell anerkannte Heilige? In einigen Fällen wurden die Überreste von Märtyrern, die in den Katakomben gefunden wurden, von der Kirche offiziell heiliggesprochen und als Heilige anerkannt. In solchen Fällen würde die Bezeichnung „Katakombenheilige“ korrekt sein. Es gibt aber ohne Zweifel auch Überreste, die nicht offiziell als Heilige anerkannt sind, aber dennoch in Kirchen zur Verehrung ausgestellt werden. In solchen Fällen kann der Begriff „Katakombenheilige“ eher metaphorisch verwendet werden, um auf die Reliquien zu verweisen, die eine symbolische Verbindung zu den frühchristlichen Gemeinschaften und zum Martyrium haben.



Während des Bildersturms der Reformationszeit im 16. und 17. Jahrhundert wurden katholische Kir­chen­ge­bäude systematisch ihrer Reliquien beraubt. Daraufhin ordnete der Heilige Stuhl an, dass Tausende von Gebeinen aus den Katakomben in Rom exhumiert werden sollten. Ob diese Gebeine zu Menschen von grö­ße­rer Bedeutung für das Christentum gehörten, ist unklar, bei einigen mag es sich jedoch tatsächlich um früh­christ­li­che Märtyrer gehandelt haben. Die Katakombenheiligen wurden mit anderen Heiligen identifiziert und erhielten einen Namen, bevor sie vor allem in die deutschsprachigen Gebiete nördlich der Alpen gebracht wur­den – obwohl der Handel mit Reliquien verboten war.

Die Zahlungen an die Kirche für die Katakombenheiligen galten nicht als Ablasszahlungen, sondern dienten der Beschaffung von Reliquien aus Rom. Die Gläubigen glaubten, dass die Reliquien ihnen Schutz und Segen bringen würden, und dass sie durch ihre Verehrung einen Anteil an der Heiligkeit der Heiligen erlangen wür­den. Die Zahlungen für die Katakombenheiligen waren also eine Form von Reliquienkult, nicht von Ab­lasshandel.

Waldsassen, Stiftsbasilika, Marienaltar

In Waldsassen besitzt die Stiftsbasilika zehn Katakombenheilige. Diese Ganzkörperreliquien von früh­christlichen Märtyrern wurden zwischen 1688 und 1765 aus den Katakomben Roms nach Waldsassen ge­bracht. Auch nach der Säkularisation des Klosters im Jahr 1803 wurden die „heiligen Leiber“ weiterhin ver­ehrt. Die zehn Skelette sind kunstvoll mit Gold- und Silberfäden, Perlen und falschen Edelsteinen verziert und gelten als der reichste Reliquienschatz dieser Art. Sie sind bis heute die besonderen Schutzpatrone der Kir­che und der Stadt. Jedes Jahr wird am ersten Sonntag im August das „Heilige-Leiber-Fest“ begangen, um diese zehn Ganzkörperreliquien zu ehren. Abt Alexander Vogel erhielt die Erlaubnis des Generalabts der Zisterzienser, ein eigenes Fest zu gründen, nachdem er vier weitere Heilige erworben hatte. Seit über 250 Jahren wird dieses Fest nun in Waldsassen gefeiert.

Seit fast 300 Jahren wurden diese Reliquien als Wunder bringende und schützende Heilige von Gemeinden verehrt, doch in einigen Orten gewannen Zweifel an ihrer Echtheit an Boden. Im 19. Jahrhundert wurde klar, dass die katholische Kirche diese Heiligen nie katalogisiert hatte. Ein Dekret des Kardinalvikars im Jahr 1878 rief die Bischöfe auf, skeptisch gegenüber diesen Reliquien zu sein. Infolgedessen kam es in vielen Fällen zu einem Rückgang der Verehrung und sogar zur Zerstörung oder Versteckung der Reliquien. Trotzdem gibt es immer noch viele Klöster und Kirchen, die Katakombenheilige besitzen und verehren. Die Stiftsbasilika in Waldsassen besitzt zum Beispiel zehn dieser Ganzkörperreliquien, die als reichster Reliquienschatz dieser Art gelten. Jedes Jahr findet am 1. Sonntag im August das „Heilige-Leiber-Fest“ statt, um diese Reliquien zu ehren.


Weitere Katakombenheilige findet man in Bayern in:

  • Achslach, Pfarrkirche St. Jakobus:
  • Aldersbach, Klosterkirche
  • Altomünster, Birgittenkloster: neun Heilige
  • Aufhausen, Wallfahrtskirche Maria Schnee
  • Burgrain bei Isen, Schlosskirche St. Georg
  • Dietramszell, ehem. Augustinerchorherrenstift (heute Pfarrkirche)
  • Dingolfing, Stadtpfarrkirche St. Johannes
  • Geisenfeld bei Pfaffenhofen an der Ilm
  • Höchstädt an der Donau, Pfarrkirche Maria Himmelfahrt
  • Irsee, St. Peter und Paul, ehemalige Klosterkirche (heute Pfarrkirche)
  • Kempten, Basilika St. Lorenz
  • Landshut, Kloster Seligenthal
  • Kempten-Lenzfried, St. Magnus: hl. Constantinus
  • Murnau am Staffelsee, Pfarrkirche St. Nikolaus
  • München, St. Peter
  • Neumarkt-Sankt Veit, ehem. Benediktinerkloster (heute Pfarrkirche)
  • Oberammergau, Pfarrkirche St. Peter und Paul
  • Raitenhaslach bei Burghausen, ehem. Zisterzienserkloster (heute Pfarrkirche)
  • Regensburg, Basilika St. Emmeram
  • Schlehdorf: ehem. Kloster-, jetzt Pfarrkirche St. Tertulin
  • Waldsassen, Stiftsbasilika Waldsassen: zehn Heilige
  • Wallerstein, Pfarrkirche St. Alban


(*) DALIBRI (Lizenz Creative Commons)


BUCHTIPPS:
Katakombenheilige: Verehrt - Verleugnet - Vergessen
1578 entdeckte man in Rom ein Labyrinth unterirdischer Begräbnisgänge, in denen sich die sterblichen Überreste Tausender Menschen mutmaßlich frühchristliche Märtyrer fanden. In der Folge barg man die Überreste dieser sogenannten Katakombenheiligen und brachte sie in katholische Kirchen und Klöster überwiegend in Süddeutschland, in der Schweiz und in Österreich, wo nach den Zerstörungen des 30-jährigen Krieges und im Zuge der Reformation dringender Bedarf an »neuen« Reliquien bestand.