NÖRDLINGEN
23. JUNI 2019
Die Kreisstadt Nördlingen in Bayerisch-Schwaben ist von München aus in etwa eineinhalb Stunden mit dem Auto erreichbar. Per Bahn bei einmaligem Umsteigen etwa das Gleiche. Somit wäre die Stadt – zumindest während der Saison der langen Sommertage – durchaus einen Tagesausflug wert. Wenn man aber weiß, was diese kleine Stadt an der Romantischen Straße alles zu bieten hat, von einer komplett erhaltenen mittelalterlichen Stadtmauer bis hin zu unzählichen Fachwerkhäusern, dann kommt ganz automatisch der Wunsch nach einem mehrtägigen Aufenthalt auf.
Der erste Begriff, mit dem der Besucher konfrontiert wird, betrifft das Gebiet, in dem sich die Stadt befindet, das sogenannte Nördlinger Ries (meist nur „Ries“ genannt). Es handelt sich dabei um ein Natur- und Kulturraum im Grenzgebiet zwischen Schwäbischer Alb und Fränkischer Alb , ziemlich genau in der Mitte des Städtedreiecks Nürnberg–Stuttgart–München. Das nahezu kreisförmige, flache Ries hebt sich auffällig von der hügeligen Landschaft der Alb ab. Aufgrund der gefundenen Gesteine wurde das Ries früher für eine vulkanische Struktur gehalten, 1960 konnte aber nachgewiesen werden, dass es Überreste eines etwa 14 Millionen Jahre alten Einschlagkraters sind. Dieser damalige Einschlag wird Ries-Ereignis genannt. Das Ries zählt zu den am besten erhaltenen großen Impaktkratern der Welt
Das Ries (Creative-Commons- Lizenz)
Bereits ein abendlicher (oder ein frühmorgendlicher) Spaziergang auf der Stadtmauer ist einen Aufenthalt wert. Diese Stadtmauer, die 24 Stunden am Tag begehbar ist, ist die einzige in Deutschland, die einen vollständig erhaltenen, begehbaren und teilweise überdachten Wehrgang besitzt.
Blick auf den Bäumlesgraben
Die historische Stadtmauer ist definitiv ein Highlight eines jeden Nördlingen-Besuchs. Sie umschließt den mittelalterlichen Altstadtkern einmal komplett. Aus einigen Metern Höhe und auf etwa 2,7 Kilometer Länge bieten sich dem Besucher bei einem Stadtmauer-Spaziergang faszinierende Blicke auf die Altstadt.
Blick von der Baldinger Mauer
Das erstmals 898 n. Chr. in einer Urkunde erwähnte Nördlingen war von der Stadterhebung durch den Stauferkönig Friedrich II. bis zur Eingliederung ins Kurfürstentum Bayern 1802 eine wohlhabende, selbstständige Reichsstadt im Heiligen Römischen Reich. Wegen seiner Lage an der Kreuzung zweier großer Handelsstraßen (Frankfurt/Würzburg–Augsburg und Nürnberg–Ulm) war die Stadt vom Mittelalter bis in die Frühe Neuzeit ein bedeutender Handelsplatz. Der Dreißigjährige Krieg und die Verlagerung der Handelsrouten hatten wirtschaftliche Bedeutungsverlust zur Folge. Dem ist allerdings zu verdanken, dass sich das mittelalterliche Stadtbild in der Folgezeit nur wenig veränderte, was schließlich aus Nördlingen ein Ziel des Kulturtourismus machte.
Zum Vertiefen der Geschichte von Nördlingen empfiehlt sich der Historische Lexikon Bayerns.
Das allergrößte Highlight einer Stadtbesichtigung ist allerdings die Aussicht, die man genießen kann, wenn man auf den Kirchturm Daniel steigt, vorausgesetzt, man hat die Kondition, um 365 Stufen zu erklimmen.
Der 89,9 Meter hohe Turm ist von weitem sichtbar und gilt als Wahrzeichen Nördlingens; er beherrscht das Stadtbild und die Landschaft des Rieskraters. Der Daniel ist der Glockenturm der spätgotischen Sankt-Georgs-Kirche, dessen Baubeginn im Jahr 1454 war. Fast ein halbes Jahrhundert später, 1490, war der Turmbau – versehen mit einem Notdach – vollendet. Als ein Blitzschlag 1537 dieses Dach zerstörte, wurde bald darauf der heutige Turmabschluss geschaffen.
Zunächst hieß der Turm ganz einfach „der Stain“. Man nimmt an, dass die heutige Bezeichnung nach der Bibelstelle 2, 48 gewählt wurde: „Und der König erhöhte Daniel und gab ihm große und viele Geschenke und machte ihn zum Fürsten über die ganze Landschaft ...“
Der Daniel
Es gibt keinen Aufzug, der Aufstieg erfolgt nur zu Fuß. Den herrlichen Ausblick auf die Stadt und das Ries muss man sich also erkämpfen. Ich habe das Glück gehabt, einen Tag mit dem schönsten weiß- blauen „bayerischen“ Himmel aufzufinden.
In der Turmstube wohnte früher ein Türmer, der über die Stadt zu wachen hatte. Bis heute noch steigt der Türmer täglich auf den Daniel, um von 22:00-24:00 Uhr jede halbe Stunde den Ruf „So, G'sell so“ auszurufen. Der in der Dunkelheit stündlich von allen Türmern gleichzeitig ausgerufene Spruch sollte in früheren Zeiten sicherstellen, dass sich alle Wächter auf ihren Posten befanden und nicht schliefen.
Der Ursprung des Rufes wird mit einer Legende in Zusammenhang gebracht: 1440 versuchte Graf Hans von Oettingen-Wallerstein, Nördlingen zu erobern. Um in die Stadt gelangen zu können, bestach er mehrere Torwächter, damit diese am Dreikönigsabend das Löpsinger Tor nicht abschlossen. Als die Frau des Lodenwebers Dauser in der Nacht hinausging, um Bier zu holen, bemerkte sie das offene Tor, weil sich gerade eine entflohene Sau daran rieb. Da rief sie „So G’sell So!“, was nicht nur die Sau vertrieb sondern auch die Wächter alarmierte. Kern der Sage ist also, eine Sau habe die Stadt gerettet.
Ausblicke vom Daniel
Die Georgskirche selbst ist kein Dom, sondern die evangelisch-lutherische Stadtpfarrkirche. Sie ist eine der größten spätgotischen Hallenkirchen in Süddeutschland.
Das gotische Gewölbe
Seit einigen Jahren nistet in Nördlingen ein Storchenpaar auf dem Brot- und Tanzhaus mitten in der Altstadt. Im Frühjahr und Sommer kann man daher die Störche auf dem Weg zu den Jungtieren im Nest beobachten und auch die ersten Flugversuche des Nachwuchses samt intensiven Geklappere miterleben. Siehe auch Störche im Nördlinger Ries.
Störche auf dem Brot- und Tanzhaus
Das Touristen-Informationsamt schlägt für den Besuch des einzigartigen mittelalterlichen Stadtkerns von Nördlingen einen etwa 4,8 km langen historischen Rundgang vor. Im Einzelnen zeigt die Webseite der Stadt eine Liste von sehenswerten Baudenkmälern mit entsprechenden Beschreibungen. Das mittelalterliche Stadtbild, wertvolle Kunstwerke und interessante Museen hinterlassen bei allen Besuchern einen bleibenden Eindruck.
Zur Stadtmauer gehören fünf Tore (das Baldinger Tor, das Berger Tor, das Reimlinger Tor, das Deininger Tor und das Löpsinger Tor), elf weitere Türme und zwei Bastionen.
Das Deininger Tor
Das „Steinhaus zu Nördlingen“ ist seit nunmehr über 600 Jahren das Rathaus der Stadt. Eine Besonderheit ist die nachträglich im Jahr 1618 von Wolfgang Walberger erbaute Freitreppe aus Suevit-Haustein - ein kunsthistorisch bedeutsames Bauwerk.
Rathaus U. Hotel Sonne
Eine schöne Ecke in der Altstadt ist der 1548 erstmals erwähnte Hafenmarkt. Hier verkauften früher sowohl die einheimischen als auch die auswärtigen Häfner ihre Töpferwaren. Rund um den Platz befinden sich das „Klösterle“, das einst ein Franziskanerkloster war und heute ein Hotel beherbergt, das Amtsgericht und das Finanzamt Nördlingen. Auf dem Platz befindet sich der „Dr. Oetker Brunnen“. Diesen Namen vergaben die Nördlinger aufgrund der Darstellung gestapelter Backformen in Anlehnung an den ursprünglichen Zweck des Platzes.
Hotel Kösterle/ Dr.-Oetker-Brunnen
Eine romantische Straßenecke
Es gibt in diesem wunderbaren mittelalterlichen Altstadtzentrum sehr viel zu sehen. Obwohl ich selbst lieber auf eigene Faust unterwegs bin, so haben auch geführte Touren ihre Vorteile. Man erfährt Geschichtsdetails, die man sich sonst nur mühsam selbst zusammensuchen müsste (wer tut das denn?).
Zum Abschluss einer Stadtbesichtigung ist ein Halt in einem Café jedenfalls unausweichlich. Das Rathauscafé ist eine gute Wahl. Zumal man bei Kaffee und Kuchen auch eine schöne Aussicht auf den Rathausplatz und den Daniel genießen kann.
Das Rathauscafé
Für jene, die gerne lokale Spezialitäten ausprobieren, sind „Schneeballen“ ein Muss. Es handelt sich um ein Gebäck aus Mürbeteig, das in dieser Gegend sehr bekannt ist. Seinen Namen verdankt es seiner kugeligen Form und der traditionellen Dekoration mit Puderzucker. Schneeballen haben einen Durchmesser von zirka acht bis zehn Zentimetern.
Schneeballen-Tauberkugeln
Gegen Abend ist die Stadt wie verzaubert. Es wird still und in den Wohnvierteln etwas abseits des Zentrums bewegt man sich von einer Idylle zur nächsten.
Das Flüsschen Eger beim Bäumlesgraben
BÜCHERTIPPS | |
Romantische Straße | |
Der MERIAN aktiv Romantische Straße bietet 66 Ausflugtipps entlang der berühmten Ferienstraße zwischen Würzburg und Füssen. Ob wandern oder Wein verkosten, UNESCO Weltkulturerbe anschauen oder eine Krater-Rundwanderung im Ries machen, auf dem Lech raften oder Wasserski fahren, das Gebiet steckt voller abwechslungsreicher Möglichkeiten! | |
GeoWandern Geopark Ries – mit angrenzender Alb | |
Auf landschaftlich attraktiven Wegen den Blick auf Besonderheiten am Wegesrand zu lenken und diese allgemeinverständlich zu erklären, das ist Anspruch dieses Wanderbuches. Zum Exkursionsgebiet gehört nicht nur der Rieskrater, sondern auch das Gebiet der Auswurfmassen sowie die daran angrenzenden Teilbereiche der Fränkischen und Schwäbischen Alb. | |
101 deutsche Orte, die man gesehen haben muss. | |
Wenn sie spontan drei Reiseziele nennen sollten, die typisch deutsch sind welche fallen Ihnen zuerst ein? Schloss Neuschwanstein, Brandenburger Tor und Kölner Dom gehören sicherlich dazu. Doch es gibt noch so viel mehr! Von der Zugspitze über die Loreley zur langen Anna auf Helgoland, von der Saarschleife über die Lutherstädte bis nach Guben/Gubin an der polnischen Grenze. |