HARBURG
20. SEPTEMBER 2021
Als ich vor einigen Jahren die Bundesstraße 25 in Richtung Norden fuhr, erschien mir plötzlich auf einem steil überragenden Felsen die markante Silhouette einer mächtigen Burg. Erst später erfuhr ich, dass es sich um Schloss Harburg handelte, eine der größten, ältesten und am besten erhaltenen Burganlagen Süddeutschlands, die über der gleichnamigen Stadt an der Wörnitz thront.
Harburg ist eine Stadt im Landkreis Donau-Ries in Schwaben (Bayern). Sie liegt im Tal der Wörnitz an der Romantischen Straße zwischen Nördlingen und Donauwörth .
Von da an stand die Stadt auf meiner Liste von besuchenswerten Ortschaften. Obwohl Harburg von München aus in etwa eineinhalb Stunden mit dem Auto erreichbar ist, dauerte es doch einige Zeit bis zu meinem Besuch. Selbst mit der Bahn erreicht man Harburg – je nach Zeitpunkt – in nur eineinviertel bis eineinhalb Stunden. Es lohnt sich also bereits für einen Tagesausflug.
Und weil es im Schlosshotel Harburg immer wieder günstige Angebote gibt, beispielsweise im Doppelzimmer für 49 bis 65 € pro Nacht und Person, stand auch dieses auf meinem Programm. Einmal herrschaftlich ruhen, romantische Stunden verbringen und fürstlich wohnen – das wäre doch etwas!
Kaum am Schloss angekommen, beeile ich mich – es ist nur ein kurzer Spaziergang – zum Schöne-Aussicht-Punkt zu gelangen, denn ich befürchte, dass die fotogene Gewitterwolken-Stimmung nicht mehr lang bestehen bleiben wird. Es sieht danach aus, als könnte sich die Wolkendecke bald wieder schließen.
Burg Harburg
Der kleine Wald, der sich südlich der Burg erstreckt, löst bei mir unerwartete Emotionen aus. Die Wörter „Waldeinsamkeit“, „Stille“, “undurchdringlich“, „dunkel“, „Raubritter“, „Mittelalter“ und „Romantik“ jagen sich gegenseitig in meinen Gedanken. Auf einem Schlag wird mir bewusst, wie „deutsch“ mein Gemüt zuweilen ist. Denn die Deutschen hegen eine tiefe Affinität zu „ihrem“ Wald, was in der Kunst der Romantik einen ganz besonderen Ausdruck gefunden hat. Spätestens seit Anfang des 19. Jahrhunderts wurde der Deutsche Wald als Sehnsuchtslandschaft in Gedichten, Märchen und Sagen auserkoren.
Der dichte Wald um die Burg
Mein nächstes Ziel hat kulinarischen Charakter. Es handelt sich um die fürstliche Waldschänke Eisbrunn, eine urige Gaststätte mitten im Wald, die weniger als vier Kilometer von der Burg entfernt ist. Ein ideales Ziel also, für eine Wanderung, die durch herrlichen dichten Wald führen würde.
Auf dem Weg dorthin könnte man auch einen Abstecher zum Bockberg machen, mit 562 Metern eine der höchsten Erhebungen Nordschwabens. Von dort hat man einen Blick weit ins Nördlinger Ries, ein durch Meteoriteneinschlag entstandener Riesenkrater (siehe dazu Nördlingen).
Hier ein Vorschlag (vom Wanderportal Bergfex) für eine solche Wandertour.Der Wald bei Eisbrunn
Aus Zeitgründen und weil das Wetter immer noch auf der Kippe steht, beschließe ich, den Weg nicht „per Pedes“ in Angriff zu nehmen, sondern „per Navi“. Ein kleiner Spaziergang unmittelbar in der Nähe der Gaststätte muss reichen. Rund um diese befindet sich auch ein von den fürstlichen Eigentümern (Oettingen-Wallerstein) angelegter Forstgarten mit zahlreichen exotischen Baumarten.
Wovon lebt ein Fürstenhaus, wenn die Touristeneinnahmen nicht einmal für die Instandsetzungsarbeiten herhalten? Der Wald ist der größte Vermögenskomplex des Fürstenhauses. Und vom Wald hat das Haus eine ganze Menge, fast 11 000 Hektar. Dazu einige Hundert Hektar landwirtschaftliche Flächen.
Junge Rotbuche
Ich bin begeistert! Ein fast leerer Biergarten mitten im Wald. Der Himmel ist bedeckt, da und dort lugt etwas Blau heraus und vereinzelte Sonnenstrahlen setzen Lichtakzente. Die Sitzbänke sind teilweise noch nass vom nächtlichen Regen, nasse braune Blätter zaubern einen Anschein von Herbst herbei. Der Wald, der mich umgibt? Keine Fichtenplantage, guter alter deutscher Laubwald. Die wetterbedingte Leere des Biergartens schafft es, eine Gemütlichkeit (kein Lärm, kein Hin-und-Her von Gästen und Kellnern) zu erzeugen, die das Sitzen angenehm macht. Mich fröstelt es.
Waldschäenke bei Eisbrunn-
Die Burg, eine der besterhaltenen Burgen Deutschlands, ist der Blickfang schlechthin: Ob man sie als Autofahrer, der auf die Stadt zufährt, erblickt oder vom der Stadt aus, wenn man am Wörnitz-Ufer flaniert, sie ist beeindruckend.
Burg Harburg und der Wörnitz
Nicht weniger sehenswert ist die historische Altstadt, die idyllisch am Ufer der Wörnitz liegt. Im Altstadtbereich drängen sich zwischen der Wörnitz und dem Burgberg mittelalterlich verwinkelte Fachwerkbauten und Barockgiebelhäuser zusammen.
An der Wörnitz
Der Blick vom Wörnitz-Ufer auf die im Jahr 1729 erbaute steinerne Brücke lässt mich vergessen, in welchem Jahrhundert wir uns befinden. In neun Bögen spannt sie sich über die Wörnitz. Für den träge und harmlos dahinfließenden Fluss scheint die Brücke fast zu wuchtig gebaut zu sein. wenn sie den oftmals gewaltigen Hochwassern standhalten muss, die das Städtchen in schöner Regelmäßigkeit heimsuchen. Was heute eine Idylle ist, war bis zum Bau der neuen Betonbrücke an der südlichen Stadteinfahrt eine Verkehrshölle. Denn davor führte der gesamte Verkehr in Richtung Wemding, ob Omnibusse oder Lastwagen, über die alte steinerne Brücke.
Die steinerne Brücke
Die Schlosskirche St. Michael auf der Burg Harburg war lange Zeit für die Gläubigen das einzige Gotteshaus im Ort. So mussten die Harburger bei jeder Witterung den steilen Weg hinauf zur Burg bewältigen. Das änderte sich erst im Jahr 1420, als am Fuß des Burgbergs mit Unterstützung des Grafen Friedrich III. von Oettingen und dessen Sohn Wilhelm I. die St.-Barbara-Kapelle errichtet wurde.
1612 wurde dann an gleicher Stelle die heutige St.-Barbara-Kirche errichtet. Sie lehnt sich unmittelbar an den Berg an. Der Turm ist sogar in den Fels hineingebaut.
St.-Barbara-Kirche
Im Herbst 2020 haben sich in Harburg 20 Frauen zusammengetan und bis zu ein Meter große, bunte Mandalas (das sind geometrisches Schaubilder, das im Hinduismus und Buddhismus in der Kultpraxis religiöse Bedeutung besitzten) gehäkelt. Diese wurden zu bunten Bahnen zusammen verbunden und machen den Himmel über der steinernen Brücke sowie über der Altstadt farbiger.
Die evangelische Kirche St. Barbara
Auf dem Marktplatz befindet sich der bronzene Marktplatzbrunnen, der vom Bildhauer Fred Jansen aus Oettingen gestaltet und im Rahmen der Altstadtsanierung 1996 errichtet wurde. Für diesen müssen sich Interessierte etwas Zeit nehmen, denn die zahlreichen plastischen Darstellungen muss man erstmals verstehen.
Das untere Becken symbolisiert durch deren Zunftzeichen die Handwerksberufe, die in der Stadt früher üblich waren.
Das mittlere Becken steht für die Stadtgeschichte. Unter anderem wird die französischen Belagerung gegen die in der Burg verschanzten Österreicher dargestellt. Des weiteren Figuren aus der Harburger Sagenwelt, wie der Schäfer vom Hüllenloch und der feurige Hund von Eisbrunn.
Am oberen Becken sieht man als Flachrelief die Silhouette der Burg und liest wichtige historische Daten und Fakten der Burg- und Stadtgeschichte.
Der Marktplatzbrunnen
Der Marktplatz hat jene Enge, die allen Straßen und Gassen des Städtchens eigen ist. In ihn münden die Donauwörther Straße, die Egelseestraße, die Nördlinger Straße und die Schloßstraße ein sowie das Gässchen Am Bogen. An den Namen lässt sich ahnen, wie der Verkehr hier rollte vor dem Bau der UmgehungsstraßeJetzt ist es fast eine Idylle.
Die Bebauung der Stadt auf mittelalterlichem Grundriss ist geschlossen, dabei unregelmäßig: Es wechseln trauf- und giebelständige Häuser, erdgeschossige, zwei- und dreigeschossige Bauten. Die engen, stellenweise steilen Gassen zeigen in einfacher Ausformung, meist glatt verputzt, vereinzelt mit Fachwerk ohne Zierelemente, den schlichten schwäbischen Giebelhaustyp.
Nachdem 1539 die Bevölkerung evangelisch geworden war, hatten die späteren katholischen Harburger fast 300 Jahre lang keine eigene Kirche. Nach großen Anstrengungen des „Geselligen Vereins der Katholiken Harburgs“ wurde am 3. Mai 1903 nach dreijähriger Bauzeit die Herz-Jesu-Kirche eingeweiht.
Herz-Jesu-Kirche
Als ich den leicht ansteigenden Weg entlang gehend die Kirche erreiche, überrascht mich ein sanfter Chor, der aus dem Inneren derselben drängt. Um nicht aufdringlich zu sein, trete ich nicht ein, sondern setze mich auf eine Bank, lasse die Sonne auf mein Gesicht scheinen und höre zu. So ein Moment ist nach meiner Auffassung mehr als nur ein kleines, überraschendes Ereignis. Es unterstreicht die „Magie des Ortes“ und macht aus einem Ereignis ein Erlebnis.
In der Herz-Jesu-Kirche
21. SEPTEMBER 2021
Mich zieht es wieder hinauf zur Burg. Mit etwas mehr Zeit ausgestattet bestaune ich diesmal vom Innenhof aus die mächtigen Mauern, Türme, Bauten und Wehrgänge der beeindruckenden Burganlage. Die große Ferienzeit ist vorbei, so habe ich dieses wunderbare Ambiente fast für mich allein!
Innenhof mit Pfisterbau und Fürstenbau
Mich wundert es, dass ich auch in der „fürstlichen“ Gaststätte allein bin. Eine französische Reisegruppe hat sich gerade aus dem Staub gemacht und mich meinen Gedanken überlassen. Was für ein Glück – überlege ich –, dass es Michael Jackson Ende der 90er-Jahre nicht gelungen ist, diese vom fürstlichen Haus Oettingen-Wallerstein gepflegte Burganlage zu kaufen und zu einem Neverland in Deutschland zu machen.
Aus dem Deal nichts, aber als Werbegag diente die Geschichte eine Zeit lang. Es gab damals an einem Sonntag mehr Besucher als zuvor im ganzen Jahr".
Fürstliche Burgschenke
Der Himmel spielt immer noch mit, so begebe ich mich wieder zum Wedelbuck, dem Nachbarfelsen des Burgbergs, auf dem sich die Aussichtsplattform befindet, von der man einen herrlichen Blick auf die Burg und die Stadt Harburg hat.
Im Juni 1800 wurde die Burg durch französische Truppen belagert: „Die Franzosen führten auf dem sogenannten Wedelbuck gegen das Schloss eine Kanone auf, deren Donner furchtbar hallte und die Bewohner des Krieges drohende Schreckensstimme hören lies.“ Die Kapitulation der österreichischen Besatzung verhinderte damals eine Zerstörung der Burg. Das war Anlass für die Feier eines Dankfestes, das noch heute in Harburg an einem Sonntag im Juni jeden Jahres als „Bockfest“ gefeiert wird.
Wenn ich also vom Wedelbuck auf die Burg schaue, können meine Gedanken tief in die Geschichte eintauchen. Nichts, was ich von diesem Aussichtspunkt sehe, verrät es, dass wir uns im 21. Jahrhundert befinden. Mit einem Fernrohr könnte ich freilich die Parabolantennen auf den Dächern sehen, diese kann ich aber leicht mit der Fantasie wieder „wegwischen“.
Harburg
Das 21. Jahrhundert liegt quasi „unter“ der Geschichte – in Form zweier Tunnels, die genau den Wedelbuck und den Burgberg unterfahren. 15000 Sprengungen erschüttern in den 1950er-Jahren das Wahrzeichen des Ortes.
„Es war einmal . . .“: So beginnt fast jedes Märchen. Und jeder ist mit den Märchen und Sagen groß geworden. Wer sich in diese Märchenwelt wieder zurückversetzen will, dem sei der Harburger Märchenweg empfohlen. Erstmals wurde der Weg 2019 im Rahmen des Harburger Kultursommers eingerichtet. Nach dem großen Erfolg wird der Weg jedes Jahr (Mai bis Oktober) erneut aufgebaut.
Tischlein deck dich
Die Idee dazu hatte eine Privatperson, Gabi Steger. Der Märchenweg wird von vielen fleißigen Helfern aus Harburg und Umgebung jährlich aufgebaut. Vom Wörnitzstrand beginnend oder vom oberen Burgparkplatz aus führt der Weg rund um die Burg. Dabei können die verschiedensten Märchen bestaunt und erraten werden. Vertreten sind neben den klassischen Märchen der Gebrüder Grimm auch moderne Märchen.
Jedes Märchen ist anders und ganz kreativ gestaltet. Ob gemalt, genäht, aus Holz, Metall oder Ton. Sogar Bäume haben hier Gesichter und die Handläufe entlang des Weges sind ganz besonders verziert und helfen der Orientierung.
Rotkäppchens böser Wolf
Das Gelände rund um Schloss Harburg ist allerdings nicht für Kinderwagen geeignet. Die Wege sind naturbelassen und nur mit gutem Schuhwerk zu begehen.
Die sieben Raben
Was für Arbeit steckt in diesem Märchenweg. Wie viele Freiwillige haben geschrieben, gemalt, gestrickt und gehäkelt, um all die kleinen Objekte herzustellen!
Schneewittchen
Das „Märchenhafte“ hört für mich nicht auf, wenn ich mich vom Märchenweg entferne. Stellenweise gleicht nämlich der Wald selbst einem verzauberten, fast mystischen Ort. Und dort ,wo er am dichtesten und dunkelsten ist, bin ich – ein Zufall? – wieder allein in einsamer Stille. Ich will den Modebegriff „Waldbaden“ nicht strapazieren, denn so ein Moment ist für mich mehr als nur ein Naturerlebnis. Es ist auch ein Erlebnis von Zeit, Erinnerungen, Sehnsucht.
Als ich zurück bei der Burg bin, erlebe ich wieder einer jener „Licht“-Momente, die den Fotografen in mir immer so mitreißen. Jetzt ist es die Rückseite der Burg, die von einer goldenen Spätnachmittagsonne verzaubert wird. Vermutlich bin ich immer noch im Märchen.
Harburg
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