MÜNCHNER  SPAZIERGÄNGE

STAND: JANUAR 2024


DIE KAPUZINERSTRASSE


30. JULI 2021

Zur Kapuzinerstraße hat mich ein Artikel der AZ geführt, in welchem der „Stadt­spa­zier­gänger“ Sigi Müller  in seiner wöchentlichen Kolumne einmal vom Drei­müh­len­vier­tel  berichtet hat.

Mein Spaziergang beginnt am Goetheplatz; den man mit der U3 oder der U6 schnell erreicht. Diese Stelle ist ziemlich genau die Mitte des Münch­ner Stadtbezirk 2  (Lud­wigs­vorstadt-Isarvorstadt). Genau entlang der Lind­wurm­stra­ße verläuft die Grenze zwischen den beiden Stadtteilen Lud­wigs­vorstadt  (nördlich) und Isarvorstadt  (südlich).

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Die dreihundert Meter zwischen der Lind­wurm­stra­ße  und dem Kapuzinerplatz  sind – milde formuliert – recht unansehnlich. Wohnhäuser mit nackten Fassaden ohne jegliche Ver­zie­rung haben die durch den Krieg zer­störten Gebäude ersetzt. Im 19. Jahr­hundert war noch gebaute Schönheit Staats­ziel: „Ich will aus München eine Stadt machen, die Deutsch­land so zu Ehren gereicht, dass niemand sagen kann, er kenne Deutschland, wenn er München nicht gesehen hat“ hatte Bayerns König Ludwig I. erklärt. Die Zeiten sind vorüber!

Auffällig in diesem ersten Trakt der Kapuzinerstraße ist die große Anzahl kleiner Gas­tro­no­mie­betriebe. Dem Schnellrestaurant Subway  folgen die Pizzeria „Mimmo“, ein Dönerladen, zwei Sushiläden, der Imbiss „Make Falafel not war“, ein Bäcker namens „Back­point“, die Cafés „gangundgäbe“ und „Lucky“ und die „Mirage Lounge“ (Cafe Bar).

Auf dem Bürgersteig vor fast jedem dieser Betriebe stehen ein paar Tische und Stühle. Dort sitzt man dann, wenn ein schneller Imbiss vonnöten ist und es einem nicht stört, den Abgasen des dichten Autoverkehrs direkt ausgesetzt zu sein.

Dauerstau

Der Verkehr ist in der Tat der wunde Punkt dieser Straße, die so etwas wie eine Haupt­ver­kehrs­ader zu sein scheint auf dem Weg von der Innenstadt nach Giesing, von dort zur Tegernseer Landstraße und der Salzburger Autobahn.


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Am Kapuzinerplatz  angekommen zweige ich zu­nächst rechts in die Tumblingerstraße  ab, denn ich kann mich erinnern, dass es hier vor Jahren zahl­reiche kleine Hinterhöfe gab, in denen Ge­wer­be­treibende ihre Werk­stät­ten hatten. Diese Hin­ter­hö­fe hatten einen ganz eigenen Charme, der mich an jenen Hinterhof denken ließ, in dem Meis­ter Eder  seine Werkstatt, das Zuhause des rothaarigen Kobolds Pumuckl hatte.

Hinterhof der Tumblingerstraße

Leider ist von dieser kleinen „Hinterhofidylle“ nicht mehr viel übrig geblieben. Sie musste wei­test­ge­hend der „Moderne“ weichen, wie es auch der Werkstatt im Hinterhof der Wi­den­ma­yerstraße  2 im Lehel geschah, wo die TV-Serie „Der Pumuckl“ gedreht wurde. Sie fiel 1985 den Abrissbaggern zum Opfer.

Hinterhof-Freiheitsstatue

Wie das Areal an der Südseite der Kapuzinerstraße, das seit über 40 Jahren Sitz des Münchner Ar­beits­amts ist, früher einmal ausgesehen hat, kann ich nur vermuten. Wahrscheinlich ist, dass auch diese Straßenseite von neoklassizistischen, neubarocken, neugotischen oder neuromantischen Wohnhäusern geprägt war, auch deutsche Renaissance oder Jugendstil mögen viele Fassaden charakterisiert haben.

Agentur für Arbeit

Sie fielen wohl den Luftangriffen des Zweiten Welt­kriegs zum Opfer. Ganz ausschließen allerdings, dass es der modernistische Städtebau der 1950er- und 1960er-Jahre war, der die his­to­ri­schen Ge­bäu­de auf dem Gewissen hat, möchte ich nicht.

Nun sind die Geschmäcker bekanntlich ver­schie­den, wenn ich aber den markanten, klot­zigen Klinkerbau des Arbeitsamts mit dem gegenüber liegenden Paulaner Bräuhaus  ver­glei­che, dann kann ich mir schwer vorstellen, dass jemand den Ersteren bevorzugen könnte.

Das Paulaner Bräuhaus

Gleich daneben steht in voller Pracht der neu­ba­ro­cke Eckbau des Architekten Alphons Hering (Baujahr 1892) mit Erkern und Stuckdekor. Werfen Sie einen Blick auf eine 4-Zimmer-Wohnung im 4. Stock, die zur Miete angeboten wird.

Kapuzinerstraße 23

Das Mietshaus an der Kapuzinerstraße 37  nach Entwurf von Albin Linke  und Max Littmann  ist ein weiteres Beispiel für unbezweifelbare Ästhetik. Es entstand um 1890 im Stil der deutschen Re­nais­san­ce und erhielt nach vorbildlicher Re­no­vie­rung im Jahr 2019 den Fassadenpreis der Lo­kal­bau­kom­mis­sion.

Kapuzinerstraße 37, Fassadenpreis 2019

Je mehr ich mich der Isar nähere, desto mehr gefällt mir diese Straße. Sie ist heute nicht unbedingt eine schöne Straße, dafür aber sehr interessant. Wenn ich meiner Fantasie freien Lauf lasse, dann sehe ich sie verkehrsberuhigt, mit breiteren Gehsteigen, streckenweise mit Bäumen bepflanzt, um­ge­wan­delt in einen prächtigen Boulevard.

Jenseits der Kreuzung mit der Thalkirchnerstraße sieht man an der linken Seite die südliche Be­gren­zungs­mauer des Alten Südfriedhofs, in dem die Gräber einer ganzen Reihe prominenter Münchner zu finden sind.

Die Mauer des Alten Südfriedhofs

Im denkmalgeschützten Alten Südfriedhof


Direkt gegenüber, auf der rechten Seite der Ka­pu­zi­nerastraße, steht das beeindruckende römisch-katholische Kirchengebäude der Pfarr­kir­che St. Anton.

Die Pfarrkirche St. Anton

St. Anton ist eine neuromanische Basilika mit halbrund geschlossenem Chor. Die Wandflächen sind reich gegliedert. Besonders aufwendig ist der Portalgiebel gestaltet, vor dem eine dreibogige Eingangshalle mit zweigeschossigen Flan­ken­bauten steht. Für weitere Details verweise ich auf die Webseite des Erzbistum München.

Inneraum der Pfarrkirche

Die Bewohner des ursprünglich dünn besiedelten Glockenbachviertels wurden von den Kapuzinern des 1846 gegründeten Klosters St. Anton seel­sorglich betreut. Mit zu­neh­mendem Be­völ­ker­ungs­wachstum wurde die als Klosterkirche dienende Schmerzhafte Ka­pelle  zu klein. Daher wurde 1893–95 nach Plänen von Ludwig Marckert westlich des Klos­ters eine neue, größere Kirche für die um­lie­gen­den Stadtteile errichtet und dem heiligen Antonius von Padua gewidmet.

Hl. Franziskus von Assisi

Der Rundbau der Schmerzhaften Kapelle ist heute voll in den Ostflügel des Klostergebäudes integriert. Im Chorraum steht ein Altar aus weißem Stein und dahinter eine Pietà aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Für weitere Details verweise ich auf die Webseite des Erzbistum München.

Pietà“ in der Schmerzhaften Kapelle


Als ich in die Kirche eintrete, sehe ich um einigen Tischen und auf den Kirchenbänken Men­schen mit Kaffeebechern in der Hand. Sie sitzen und plau­dern. Hier im Hause Gottes also eine Art Café? Ich beobachte, dass an den Tischen auch gegessen wird. Die Atmosphäre wirkt locker und gemütlich. Bei genauerem Hinsehen bemerke ich im vorderen Bereich der Kirche eine provisorische Küche und einen Kaffeekocher. Verpackte Gerichte werden aufgewärmt und verteilt, dazu Süßgebäck und warme Getränke.



Ich spreche mit einem Mann am Kaffeekocher und erfahre, dass seit Dezember 2020 auf Initiative von Yvonne Müller  von der Caritas  die Antonius-Kirche zu einem Ort der Essenausgabe für arme und armutsgefährdete Menschen geworden ist. Es gehe dabei nicht nur um das Essen, sondern auch um das „offene Ohr“, das die Helferinnen und Helfer für die Menschen hatten.

Es kommen inzwischen mehr als 100 Menschen pro Tag in die Antonius-Küche. Wichtig: Es werden kei­ne Nachweise für eine soziale Bedürftigkeit ver­langt.


Nachdem ich das Klostergebäude passiert habe, zweige ich rechts in die Isartalstraße  ab. Zur Linken führt mich ein kleiner Weg hinunter zum Wes­ter­mühl­bach. Die kurze Strecke im Grünen entlang dieses Baches entpuppt sich als eine wahre Idylle! Für mich eine an­ge­nehme Überraschung. Ich erin­nere mich nicht, jemals an dieser Stelle ge­we­sen zu sein!

Am Westermühlbach

Wenn man in der kleinen Grünanlage am Wes­ter­mühlbach in Richtung Norden geht, wird kurz vor der Ka­pu­zi­nerstraße der Blick frei auf das im­po­san­teste und interessanteste Ge­bäude der gan­zen Kapuzinerstraße (Haus­nummer 33). Eine tolle Aussicht!

Geyerbrücke über den Westermühlbach

Es gibt in München leider nur noch wenige Bäche, wie zum Beispiel der Auer Mühlbach , die auch heute noch an der Oberfläche fließen. An die Meisten der zahlreichen Münchner Bäche, die früher an der Oberfläche flossen (z. B. den Pfis­terbach und den Pesenbach), erinnern nicht ein­mal mehr Straßennamen. Eine Aus­nahme bildet der Glockenbach, der einem gan­zen Viertel den Namen gegeben hat. Der Glockenbach soll – da­für hat sich der Be­zirks­aus­schuss Ludwigsvorstadt-Isarvor­stadt ausgesprochen – wieder sichtbar werden. Ach­tung: Die Reichenbachstraße  ist nicht nach einem Stadtbach benannt, sondern nach dem Ingenieur und Erfinder Georg Friedrich von Reichenbach  (1772–1826).


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Diese Stadt hat ein großes Potenzial für Über­ra­schun­gen. Es gib hässliche, laute Straßen mit dichtem Verkehr und – nicht sel­ten – Häu­ser­fron­ten, an denen die Moderne gewütet hat. Dann zweigt man in eine Seitenstraße ab und plötzlich, innerhalb von Sekunden, erschließt sich wie von Zauberhand ein völlig anderes Bild. Viel Grün, Stille, „Wohnlichkeit“.

Wohnsiedlung am Westermühlbach

Das Areal zwischen dem Westermühlbach  und der Geyerstraße  ist so ein Fall: Eine mo­der­ne, elegante Wohn­siedlung, die völlig herausgelöst zu sein scheint aus der ver­dich­te­ten, hektischen und lauten städtischen Um­gebung. Überhaupt hat dieses Dreimühlenviertel – frü­her ein Teil des Glo­cken­bach­viertels – einen sehr eigenständigen Charakter.

Am Westermühlbach


Ich gehe die Isartalstraße  weiter in Richtung Süden. An der rechten Seite reihen sich lu­xus­sanierte Miets­häu­ser aus der Jahrhundertwende, vor­nehm­lich im Stil des Neubarocks und der Neu­re­nais­san­ce. Als ich vor mehreren Jahrzehnten nach München zog, wohnten hier auch noch Men­schen aus sozial weniger privi­le­gierten Schich­ten. Aber heute? Wer kann sich eine 74 m² große 3-Zimmer-Wohnung leisten, die im Monat 1.990 Euro kostet?


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Nicht anders ist es bei dem modernen Wohn­kom­plex an der anderen Straßenseite. Ein Zei­tungs­inserat be­stätigt es mir: 2-Zimmer-Wohnung (43 m²) zu vermieten für läppische 1.700 Euro. Ein Schnäppchen für eine al­lein­er­ziehende Mutter von zwei Kindern!

Jetzt fällt es mir wieder ein: An dieser Stelle stand einmal das Firmengelände des Bril­len­her­stellers Ro­den­stock. Man konnte es in der Zeitung lesen, dass Ro­denstock diesen Fir­men­stand­ort aufgeben wollte. Interessanterweise ist auf Google Street View  noch das Rodenstock-Firmengelände  zu sehen. 2012 rollten dann tatsächlich die Ab­riss­bagger an. Heute steht an derselben Stelle ein hyper­mo­dernes Wohnviertel – der Rodenstock Garten.

Rodenstock Garden

Ich muss zugeben, dass mich die Architektur dieses Wohnkomplexes beeindruckt. Er um­fasst 284 Wohnungen, die um eine groß­zügige Gartenanlage gebaut wurden. Eine durch­ge­hen­de Pergola ver­stärkt den park­ähn­lichen Charakter dieses großen Innenhofs. Der Clou: Der Westermühlbach, ein Seitenarm der Isar, der bis zum Abriss der Ro­den­stock-Fir­men­gebäude in den Untergrund verbannt war, wurde für das Wohnprojekt freigelegt und durch­fließt bildwirksam das Areal.

Rodenstock Garden


Zurück in der Kapuzinerstraße. Zwischen der Isar­talstraße und dem Baldeplatz  ist die Straße von weiteren stattlichen Wohnhäusern aus der Jahr­hundertwende flankiert, die ihre Wirkung auf mich nicht verfehlen. Ich versuche, die Architektur auf mich einwirken zu lassen, indem ich meine Blicke nach oben wandern lasse, um die geparkten Autos „unsichtbar“ zu machen. Es versetzt mich für Momente zurück in eine Zeit, in der das Stadtbild noch nicht durch das Fetisch „Automobil“ ver­schan­delt war. Der starke Verkehrslärm lässt diese Fantasien aber bald wie Seifenblasen zerplatzen.

Neurenaissance-Mietshäuser (1887-1889)

Am Baldeplatz endet die Kapuzinerstraße und mein Spaziergang. Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich diese Straße als schön oder nur als „in­te­res­sant“ empfinde. Man ist gleich an der Isar, hat idyllische Ecken im Grünen, schöne Architektur lässt über ein Deutschland, wie es einmal war, sinnieren.

Am Baldeplatz

Die Kapuzinerstraße wie auch die gesamte Isar­vorstadt haben in den letzten Jahrzehnten ihren Charakter fundamental geändert. Arbeiterviertel, Schlachthof, Kasernen und ärmliche Behausungen: Aus diesen Wurzeln ist das Viertel erwachsen. Heute ist es ein In-Viertel, de­ren Bewohner überaus zah­lungs­kräftig sind. Entsprechend groß ist das Angebot an Knei­pen und Restaurants. Hier eine kleine Auswahl  von Cafés, Restaurants und Bars in der Kapuzinerstraße.

Il piccolo principe

Auf der kleinen Terrasse des Im Restaurant-Bar Fugazi Nr. 15  gönne ich mir eine Bruschetta, ein kühles Bier und den lauen Nachmittag.

Fugazi Nr. 15


BUCHTIPP:
München 1890 bis 1960
Klaus Fröba präsentiert rund 160 zumeist unveröffentlichte historische Fotografien aus den Jahren zwischen 1890 und 1960. Die beeindruckenden Aufnahmen zeigen das alte München zwischen der Maxvorstadt und den äußeren Bezirken und wecken Erinnerungen an eine Stadt, die es so nicht mehr gibt.