DIE KAPUZINERSTRASSE
30. JULI 2021
Zur Kapuzinerstraße hat mich ein Artikel der AZ geführt, in welchem der „Stadtspaziergänger“ Sigi Müller in seiner wöchentlichen Kolumne einmal vom Dreimühlenviertel berichtet hat.
Mein Spaziergang beginnt am Goetheplatz; den man mit der U3 oder der U6 schnell erreicht. Diese Stelle ist ziemlich genau die Mitte des Münchner Stadtbezirk 2 (Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt). Genau entlang der Lindwurmstraße verläuft die Grenze zwischen den beiden Stadtteilen Ludwigsvorstadt (nördlich) und Isarvorstadt (südlich).
Die dreihundert Meter zwischen der Lindwurmstraße und dem Kapuzinerplatz sind – milde formuliert – recht unansehnlich. Wohnhäuser mit nackten Fassaden ohne jegliche Verzierung haben die durch den Krieg zerstörten Gebäude ersetzt. Im 19. Jahrhundert war noch gebaute Schönheit Staatsziel: „Ich will aus München eine Stadt machen, die Deutschland so zu Ehren gereicht, dass niemand sagen kann, er kenne Deutschland, wenn er München nicht gesehen hat“ hatte Bayerns König Ludwig I. erklärt. Die Zeiten sind vorüber!
Auffällig in diesem ersten Trakt der Kapuzinerstraße ist die große Anzahl kleiner Gastronomiebetriebe. Dem Schnellrestaurant Subway folgen die Pizzeria „Mimmo“, ein Dönerladen, zwei Sushiläden, der Imbiss „Make Falafel not war“, ein Bäcker namens „Backpoint“, die Cafés „gangundgäbe“ und „Lucky“ und die „Mirage Lounge“ (Cafe Bar).
Auf dem Bürgersteig vor fast jedem dieser Betriebe stehen ein paar Tische und Stühle. Dort sitzt man dann, wenn ein schneller Imbiss vonnöten ist und es einem nicht stört, den Abgasen des dichten Autoverkehrs direkt ausgesetzt zu sein.
Dauerstau
Der Verkehr ist in der Tat der wunde Punkt dieser Straße, die so etwas wie eine Hauptverkehrsader zu sein scheint auf dem Weg von der Innenstadt nach Giesing, von dort zur Tegernseer Landstraße und der Salzburger Autobahn.
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Am Kapuzinerplatz angekommen zweige ich zunächst rechts in die Tumblingerstraße ab, denn ich kann mich erinnern, dass es hier vor Jahren zahlreiche kleine Hinterhöfe gab, in denen Gewerbetreibende ihre Werkstätten hatten. Diese Hinterhöfe hatten einen ganz eigenen Charme, der mich an jenen Hinterhof denken ließ, in dem Meister Eder seine Werkstatt, das Zuhause des rothaarigen Kobolds Pumuckl hatte.
Hinterhof der Tumblingerstraße
Leider ist von dieser kleinen „Hinterhofidylle“ nicht mehr viel übrig geblieben. Sie musste weitestgehend der „Moderne“ weichen, wie es auch der Werkstatt im Hinterhof der Widenmayerstraße 2 im Lehel geschah, wo die TV-Serie „Der Pumuckl“ gedreht wurde. Sie fiel 1985 den Abrissbaggern zum Opfer.
Hinterhof-Freiheitsstatue
Wie das Areal an der Südseite der Kapuzinerstraße, das seit über 40 Jahren Sitz des Münchner Arbeitsamts ist, früher einmal ausgesehen hat, kann ich nur vermuten. Wahrscheinlich ist, dass auch diese Straßenseite von neoklassizistischen, neubarocken, neugotischen oder neuromantischen Wohnhäusern geprägt war, auch deutsche Renaissance oder Jugendstil mögen viele Fassaden charakterisiert haben.
Agentur für Arbeit
Sie fielen wohl den Luftangriffen des Zweiten Weltkriegs zum Opfer. Ganz ausschließen allerdings, dass es der modernistische Städtebau der 1950er- und 1960er-Jahre war, der die historischen Gebäude auf dem Gewissen hat, möchte ich nicht.
Nun sind die Geschmäcker bekanntlich verschieden, wenn ich aber den markanten, klotzigen Klinkerbau des Arbeitsamts mit dem gegenüber liegenden Paulaner Bräuhaus vergleiche, dann kann ich mir schwer vorstellen, dass jemand den Ersteren bevorzugen könnte.
Das Paulaner Bräuhaus
Gleich daneben steht in voller Pracht der neubarocke Eckbau des Architekten Alphons Hering (Baujahr 1892) mit Erkern und Stuckdekor. Werfen Sie einen Blick auf eine 4-Zimmer-Wohnung im 4. Stock, die zur Miete angeboten wird.
Kapuzinerstraße 23
Das Mietshaus an der Kapuzinerstraße 37 nach Entwurf von Albin Linke und Max Littmann ist ein weiteres Beispiel für unbezweifelbare Ästhetik. Es entstand um 1890 im Stil der deutschen Renaissance und erhielt nach vorbildlicher Renovierung im Jahr 2019 den Fassadenpreis der Lokalbaukommission.
Kapuzinerstraße 37, Fassadenpreis 2019
Je mehr ich mich der Isar nähere, desto mehr gefällt mir diese Straße. Sie ist heute nicht unbedingt eine schöne Straße, dafür aber sehr interessant. Wenn ich meiner Fantasie freien Lauf lasse, dann sehe ich sie verkehrsberuhigt, mit breiteren Gehsteigen, streckenweise mit Bäumen bepflanzt, umgewandelt in einen prächtigen Boulevard.
Jenseits der Kreuzung mit der Thalkirchnerstraße sieht man an der linken Seite die südliche Begrenzungsmauer des Alten Südfriedhofs, in dem die Gräber einer ganzen Reihe prominenter Münchner zu finden sind.
Die Mauer des Alten Südfriedhofs
Im denkmalgeschützten Alten Südfriedhof
Direkt gegenüber, auf der rechten Seite der Kapuzinerastraße, steht das beeindruckende römisch-katholische Kirchengebäude der Pfarrkirche St. Anton.
Die Pfarrkirche St. Anton
St. Anton ist eine neuromanische Basilika mit halbrund geschlossenem Chor. Die Wandflächen sind reich gegliedert. Besonders aufwendig ist der Portalgiebel gestaltet, vor dem eine dreibogige Eingangshalle mit zweigeschossigen Flankenbauten steht. Für weitere Details verweise ich auf die Webseite des Erzbistum München.
Inneraum der Pfarrkirche
Die Bewohner des ursprünglich dünn besiedelten Glockenbachviertels wurden von den Kapuzinern des 1846 gegründeten Klosters St. Anton seelsorglich betreut. Mit zunehmendem Bevölkerungswachstum wurde die als Klosterkirche dienende Schmerzhafte Kapelle zu klein. Daher wurde 1893–95 nach Plänen von Ludwig Marckert westlich des Klosters eine neue, größere Kirche für die umliegenden Stadtteile errichtet und dem heiligen Antonius von Padua gewidmet.
Hl. Franziskus von Assisi
Der Rundbau der Schmerzhaften Kapelle ist heute voll in den Ostflügel des Klostergebäudes integriert. Im Chorraum steht ein Altar aus weißem Stein und dahinter eine Pietà aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Für weitere Details verweise ich auf die Webseite des Erzbistum München.
„Pietà“ in der Schmerzhaften Kapelle
Als ich in die Kirche eintrete, sehe ich um einigen Tischen und auf den Kirchenbänken Menschen mit Kaffeebechern in der Hand. Sie sitzen und plaudern. Hier im Hause Gottes also eine Art Café? Ich beobachte, dass an den Tischen auch gegessen wird. Die Atmosphäre wirkt locker und gemütlich. Bei genauerem Hinsehen bemerke ich im vorderen Bereich der Kirche eine provisorische Küche und einen Kaffeekocher. Verpackte Gerichte werden aufgewärmt und verteilt, dazu Süßgebäck und warme Getränke.
Ich spreche mit einem Mann am Kaffeekocher und erfahre, dass seit Dezember 2020 auf Initiative von Yvonne Müller von der Caritas die Antonius-Kirche zu einem Ort der Essenausgabe für arme und armutsgefährdete Menschen geworden ist. Es gehe dabei nicht nur um das Essen, sondern auch um das „offene Ohr“, das die Helferinnen und Helfer für die Menschen hatten.
Es kommen inzwischen mehr als 100 Menschen pro Tag in die Antonius-Küche. Wichtig: Es werden keine Nachweise für eine soziale Bedürftigkeit verlangt.
Nachdem ich das Klostergebäude passiert habe, zweige ich rechts in die Isartalstraße ab. Zur Linken führt mich ein kleiner Weg hinunter zum Westermühlbach. Die kurze Strecke im Grünen entlang dieses Baches entpuppt sich als eine wahre Idylle! Für mich eine angenehme Überraschung. Ich erinnere mich nicht, jemals an dieser Stelle gewesen zu sein!
Am Westermühlbach
Wenn man in der kleinen Grünanlage am Westermühlbach in Richtung Norden geht, wird kurz vor der Kapuzinerstraße der Blick frei auf das imposanteste und interessanteste Gebäude der ganzen Kapuzinerstraße (Hausnummer 33). Eine tolle Aussicht!
Geyerbrücke über den Westermühlbach
Es gibt in München leider nur noch wenige Bäche, wie zum Beispiel der Auer Mühlbach , die auch heute noch an der Oberfläche fließen. An die Meisten der zahlreichen Münchner Bäche, die früher an der Oberfläche flossen (z. B. den Pfisterbach und den Pesenbach), erinnern nicht einmal mehr Straßennamen. Eine Ausnahme bildet der Glockenbach, der einem ganzen Viertel den Namen gegeben hat. Der Glockenbach soll – dafür hat sich der Bezirksausschuss Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt ausgesprochen – wieder sichtbar werden. Achtung: Die Reichenbachstraße ist nicht nach einem Stadtbach benannt, sondern nach dem Ingenieur und Erfinder Georg Friedrich von Reichenbach (1772–1826).
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Diese Stadt hat ein großes Potenzial für Überraschungen. Es gib hässliche, laute Straßen mit dichtem Verkehr und – nicht selten – Häuserfronten, an denen die Moderne gewütet hat. Dann zweigt man in eine Seitenstraße ab und plötzlich, innerhalb von Sekunden, erschließt sich wie von Zauberhand ein völlig anderes Bild. Viel Grün, Stille, „Wohnlichkeit“.
Wohnsiedlung am Westermühlbach
Das Areal zwischen dem Westermühlbach und der Geyerstraße ist so ein Fall: Eine moderne, elegante Wohnsiedlung, die völlig herausgelöst zu sein scheint aus der verdichteten, hektischen und lauten städtischen Umgebung. Überhaupt hat dieses Dreimühlenviertel – früher ein Teil des Glockenbachviertels – einen sehr eigenständigen Charakter.
Am Westermühlbach
Ich gehe die Isartalstraße weiter in Richtung Süden. An der rechten Seite reihen sich luxussanierte Mietshäuser aus der Jahrhundertwende, vornehmlich im Stil des Neubarocks und der Neurenaissance. Als ich vor mehreren Jahrzehnten nach München zog, wohnten hier auch noch Menschen aus sozial weniger privilegierten Schichten. Aber heute? Wer kann sich eine 74 m² große 3-Zimmer-Wohnung leisten, die im Monat 1.990 Euro kostet?
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Nicht anders ist es bei dem modernen Wohnkomplex an der anderen Straßenseite. Ein Zeitungsinserat bestätigt es mir: 2-Zimmer-Wohnung (43 m²) zu vermieten für läppische 1.700 Euro. Ein Schnäppchen für eine alleinerziehende Mutter von zwei Kindern!
Jetzt fällt es mir wieder ein: An dieser Stelle stand einmal das Firmengelände des Brillenherstellers Rodenstock. Man konnte es in der Zeitung lesen, dass Rodenstock diesen Firmenstandort aufgeben wollte. Interessanterweise ist auf Google Street View noch das Rodenstock-Firmengelände zu sehen. 2012 rollten dann tatsächlich die Abrissbagger an. Heute steht an derselben Stelle ein hypermodernes Wohnviertel – der Rodenstock Garten.
Rodenstock Garden
Ich muss zugeben, dass mich die Architektur dieses Wohnkomplexes beeindruckt. Er umfasst 284 Wohnungen, die um eine großzügige Gartenanlage gebaut wurden. Eine durchgehende Pergola verstärkt den parkähnlichen Charakter dieses großen Innenhofs. Der Clou: Der Westermühlbach, ein Seitenarm der Isar, der bis zum Abriss der Rodenstock-Firmengebäude in den Untergrund verbannt war, wurde für das Wohnprojekt freigelegt und durchfließt bildwirksam das Areal.
Rodenstock Garden
Zurück in der Kapuzinerstraße. Zwischen der Isartalstraße und dem Baldeplatz ist die Straße von weiteren stattlichen Wohnhäusern aus der Jahrhundertwende flankiert, die ihre Wirkung auf mich nicht verfehlen. Ich versuche, die Architektur auf mich einwirken zu lassen, indem ich meine Blicke nach oben wandern lasse, um die geparkten Autos „unsichtbar“ zu machen. Es versetzt mich für Momente zurück in eine Zeit, in der das Stadtbild noch nicht durch das Fetisch „Automobil“ verschandelt war. Der starke Verkehrslärm lässt diese Fantasien aber bald wie Seifenblasen zerplatzen.
Neurenaissance-Mietshäuser (1887-1889)
Am Baldeplatz endet die Kapuzinerstraße und mein Spaziergang. Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich diese Straße als schön oder nur als „interessant“ empfinde. Man ist gleich an der Isar, hat idyllische Ecken im Grünen, schöne Architektur lässt über ein Deutschland, wie es einmal war, sinnieren.
Am Baldeplatz
Die Kapuzinerstraße wie auch die gesamte Isarvorstadt haben in den letzten Jahrzehnten ihren Charakter fundamental geändert. Arbeiterviertel, Schlachthof, Kasernen und ärmliche Behausungen: Aus diesen Wurzeln ist das Viertel erwachsen. Heute ist es ein In-Viertel, deren Bewohner überaus zahlungskräftig sind. Entsprechend groß ist das Angebot an Kneipen und Restaurants. Hier eine kleine Auswahl von Cafés, Restaurants und Bars in der Kapuzinerstraße.
Il piccolo principe
Auf der kleinen Terrasse des Im Restaurant-Bar Fugazi Nr. 15 gönne ich mir eine Bruschetta, ein kühles Bier und den lauen Nachmittag.
Fugazi Nr. 15
BUCHTIPP: | |
München 1890 bis 1960 | |
Klaus Fröba präsentiert rund 160 zumeist unveröffentlichte historische Fotografien aus den Jahren zwischen 1890 und 1960. Die beeindruckenden Aufnahmen zeigen das alte München zwischen der Maxvorstadt und den äußeren Bezirken und wecken Erinnerungen an eine Stadt, die es so nicht mehr gibt. |