MÜNCHNER ORIGINALE
14. JULI 2021
Was wäre München ohne seine Originale? Exzentriker, Spaßmacher, Volkssänger, Kabarettisten, Revoluzzer, Spötter und – Freaks. So viele gab und gibt es eigentlich nicht, aber sie haben alle dazu beigetragen, die Seele der Stadt zu formen und den Menschen ein Zugehörigkeitsgefühl zu geben, als gehörte man alle zu einer großen Familie. Die Medien machen es möglich. Man ist in München nicht wirklich „angekommen“, wenn diese besonderen Menschen einem kein Begriff sind.
Heutzutage sind es meistens Film und Fernsehen, die solche Persönlichkeiten bekannt machen, aber es gibt auch Ausnahmen wie z. B. den Charmanten, stets braun gebrannten Dieter Schweiger (Obststandl-Didi). Wer hat noch nie bei ihm einen Apfel gekauft? Er ist in München eine Berühmtheit. Seit dreißig Jahren, sechs Tage die Woche, steht er hinter seinem Obst-und- Gemüse-Stand direkt an der Leopoldstraße, zwischen Universität und Siegestor.
Die (2022 verstorbenen) Öhlschläger Zwillinge Stefan Gustav und Christian Walther Öhlschläger, die in Hot Pants oder Badehosen, mit Lackstiefeln und auffälligen Handtaschen in den Münchner Straßen unterwegs waren, waren ein besonderer krasser Fall von Originalität. Sie liebten grelle Farben und schmücken sich gern mit bunten Plastikperlenbändern. Kaum ein Münchner, der die beiden Paradiesvögel noch nie gesehen hatte.
Originale gab es immer schon. Es bedurfte nicht der Medien, um Bekanntheit zu erlangen. Die Stadt war klein, jeder kannte jeden in seinem Viertel, Exzentriker und Außenseiter fielen leicht auf. Einige Beispiele aus der Vergangenheit findet man, wenn mit offenen Augen in der Altstadt spazieren geht.
Während das Karlstor am Stachus eine der bekanntesten Sehenswürdigkeiten Münchens ist, dürften die Persönlichkeiten, die von den Reliefbüsten unter dem Mittelgewölbe des Tors dargestellt werden, weniger bekannt sein. Es empfiehlt sich, kurz innezuhalten und einen Blick nach oben zu werfen. Die sogenannten „Kragenköpfe stellen herausragende Münchner Originale dar. Neben dem Kutscher Franz Krenkl, dem Baron Sulzbeck und dem Finessensepperl blickt auch Bayerns letzter Hofnarr Georg Pranger auf die Passanten herab.
DER FINESSENSEPPERL
Joseph Huber (1763-1829) wurde „Finessensepperl“ genannt, denn er fungierte als „Postillion d'Amour“ (Überbringer von Liebesbriefen). Sein Zustellungslohn waren lediglich ein paar Kreuzer oder Naturalien. Er war bekannt für seine oft treffenden, witzigen oder skurrilen Aussprüche, die so zahlreich und allgemein bekannt waren, dass schon zu seinen Lebzeiten ein Buch mit der Sammlung seiner Taten und Aussprüche erschien. Der bekannteste, zur Münchner Redensart gewordene ist: „Nix Gwiss woas ma ned“. Er war schlau und schien gerade das Gegenteil davon zu sein; er konnte nicht lesen und schreiben und verstand sich doch darin. Weil er ungewöhnlich klein von Wuchs gewesen sein soll, behandelten seine Zeitgenossen ihn wie eine Art Jahrmarktsattraktion. Als er starb, sollten seine sterblichen Überreste nicht ihre letzte Ruhe auf dem Friedhof finden, sondern als Ausstellungsstück des pathologischen Instituts in München dienen.
Der Finessensepperl ruht auf dem Alten Südlichen Friedhof in München [Grab 13-4-27].
FRANZ XAVER KRENKL
Gäbe es eine Hitliste der meistverwendeten bayerischen Sprüche, hätte der Ausspruch „Wer ko, der ko!“sicher gute Chancen auf einen der vorderen Plätze. Urheber dieser Redewendung soll ein niederbayerischer Lohnkutscher namens Xaver Krenkl (1780-1860) sein. Krenkl, der ab 1806 in München lebte, war erfolgreicher Pferdehändler und betrieb außerdem eine Lohnkutscherei für wohlhabende Kunden. Sein Rennstall errang beim Oktoberfestrennen vierzehnmal den Meistertitel.
Bleibende Berühmtheit erlangte Krenkl aber, als er die Kutsche von König Ludwig I. im Englischen Garten verbotswidrig überholte. Denn der König und die Königin und was alles sonst noch zur Familie gehörte, durfte auf ihren Ausfahrten unter keinen Umständen überholt werden.
Als ihm der König empört nachrief, ob er nicht wisse, wen er da vor sich habe, drehte sich Krenkl zur Kutsche des Königs um, zuckte die Schultern und antwortete mit eben jenem: „Majestät, wer ko, der ko!“ (Majestät, wer kann, der kann!). Ob sich die Geschichte tatsächlich so zugetragen hat, wissen nur die beteiligten Herren. Der Ausruf wurde zum geflügelten Wort.
Franz Xaver Krenklruht auf dem Alten Südlichen Friedhof in München [Grab 17-9-57].
DER STEYRER HANS
Der aus Allach stammende Hans Baptist Steyrer (1849-1906 in München) war ein bayerischer Metzger und Gastwirt. Bekannt wurde er wegen seiner Stärke, man nannte ihn den „bayrischen Herkules“.
1879 suchte der Zirkus Herzog den stärksten Bayern und plakatierte diese Aktion bayernweit. Hans Steyrer gewann alle Wettbewerbe und setzte zum Schluss noch einen drauf: Mit der Kraft seines rechten Mittelfingers konnte er als einziger einen 508 Pfund schweren Stein einige Sekunden lang anheben.
Den Einzug der Wiesn-Wirte am ersten Wiesn-Samstag ist eine Erfindung Steyers . Er zog 1887 erstmals mit Blasmusik, seinen Schankburschen und den Kellnerinnen auf sieben geschmückten Zweispännern und einem Vierspänner Richtung Theresienwiese. Dafür wurde er wegen „Störung der öffentlichen Ordnung“ zu einer empfindlichen Geldstrafe verurteilt, was ihn nicht daran hinderte es noch einmal zu versuchen. Schon bald darauf wurde der Einzug der Wiesn-Wirte offiziell veranstaltet. Hans Steyrer ruht auf dem Münchner Ostfriedhof [Grab 46-5-12].
Steyrers Glanznummer auf dem Oktoberfest war das „Lebende Reck“, bei dem er eine 80-Pfund-Eisenstange vor sich hertrug, an der sein Sohn Hans junior herumturnte.
Detail vom Grab von Hans Steyrer
DIE TAUBEN-MARIE
Die als „Taubenmutterl“ oder „Tauben-Marie“ bekannte Therese Schedlbauer (1853-1940), war ein Original der Münchner Tierliebe, Sie gehörte bis zu ihrem Tod im Jahre 1940 zum selbstverständlichen Bild der Altstadt. Tag für Tag war sie für ihre Tauben da, nicht zuletzt zum Ärgernis vieler Hausbesitzer und Denkmalpfleger. Dank der Taubenmutterl prosperierte das Geschäft der Drahtnetze-Hersteller, die zahlreiche Münchner Monumente mit ihren zum Leid aller Fotografen auf den Bildern erkennbaren Netzen einzäunten.
1958 ließ die Vereinsbank in der Maffei-Passage eine 1,20 Meter große Majolika-Figur (von Professor Henselmann modelliert) stellen, die mit der gestrickten Rüschenhaube und dem weiten Schurz, in dem sie Futter brachte, unschwer als Tauben-Marie zu erkennen ist. Das Denkmal wurde später in einen der Fünf Höfe versetzt, samt idyllischem Brunnen und zwölf Betonhockern.
Majolika-Säule des Tauben-Marie-Brunnen
KARL VALENTIN
Karl Valentin (1882-1948), mit bürgerlichem Namen Valentin Ludwig Fey, war ein Münchner Komiker, Volkssänger, Autor und Filmproduzent.
Valentin war ein Wortvirtuose: Sein Sprachwitz zielte besonders auf ihn selbst; unterstützt wurde sein Humor durch seine lange, hagere Gestalt, die er durch slapstickartige Einlagen betonte. Der Pessimismus und die Tragik seiner Komik wurden durch den ständigen Kampf mit alltäglichen Dingen wie der Auseinandersetzung mit Behörden und Mitmenschen genährt. Zusammen mit seiner Bühnenpartnerin Liesl Karlstadt bildete er eines der berühmtesten Komikerpaare im 20. Jahrhundert. Viele der über 400 Sketche und Komödien der beiden trugen ihre Handschrift.
Für Details über sein Leben und seine Werke siehe karl-valentin.de.
Karl-Valentin-Brunnen (Viktualienmarkt)
Das Karl-Valentin-Musäum
Während seine Partnerien Liesl Karlstadt ihre Ruhestätte im alten Bogenhausener Friedhof hat, befindet sich Karl Valentins Grabstätte auf dem Friedhof in Planegg bei München, direkt neben der Aussegnungshalle.
BALLY PRELL
Wie oft bin ich an dem kleinen Brunnen an der Leopoldstraße 77 vorbeigegangen und habe mich gefragt, wen die merkwürdige Frauenfigur des Brunnens wohl darstelle. Es war ein reiner Zufall, der mir die Aufklärung brachte. Eine Reiseführerin erzählte gerade einer kleinen Gruppe von Touristen, dass in diesem Jugendstilhaus die als Bally Prell (1922-1982) bekannt gewordene Agnes Pauline Prell ihr ganzes Leben verbracht hatte. Sie war Humoristin und Volkssängerin, eine außergewöhnliche Frau mit einer für eine Frau außergewöhnlich tiefen Stimme.
Bally Prell (der Brunnen)
Bereits als Fünfjährige trat sie im Münchner Odeons-Saal auf und begeisterte die Zuhörer mit ihrer Stimme, einer Tenorstimme, mit der sie auch klassische Arien singen konnte. Nur dass es für eine Frau mit einer derart „männlichen“ Stimme keine Rollen gab. So ist es nicht überraschend, dass die hochbegabte, stimmgewaltige junge Frau mit der üppigen Figur keinen Erfolg auf dem Konzertpodium erreichte, sondern auf der Volkssängerbühne am Platzl mit einer parodistischen Nummer.
Am 31. Oktober 1953 trat sie zum ersten Mal im Münchener Platzl mit ihrem Lied „Die Schönheitskönigin von
Schneizlreuth“ auf, das ihr von ihrem Vater, dem Komponisten und Volkssängers
„Mich, die Salvermoser Zenz
Ham’s zur Schönheitskonkurrenz
Nach München auffigschickt
Unter 20 solche Nassl
Hab ich ghabt des Riesnmassl
Und den 1. Preis gekriegt.
Mein Bürgamoasta, der wird linsn
Und mei Hiasl, der wird grinsn
Meinen Freundinnen stinkt er schwer
Doch das lässt sich sehr leicht denken
Zwengn den Haufen von Geschenken
Und der Reuse übers Meer
Hahahahaha
Ja, ja, jajajajaja
Ja, was sagn’S denn da
Ich, die Schneizlreutherin
Bin Schönhoitskönigin
Ja, ja, jajajajaja,
Dass dieses Wunder geschah
Das allein verdank ich nur
Meiner zierlichen Figur.“
Das Privatleben dieser Frau blieb weitgehend unbekannt, verborgen hinter der Maske der Frau, die sich und ihre korpulente Figur parodierte, indem sie mit einem rosa Rüschenkleid, weiß-blauer Schärpe und goldenem Krönchen auftrat und sang: „Ha, bin ich vielleicht nicht schön“?
Im Münchner Stadtmuseum werden zu ihrem Andenken ihr bekanntes Bühnenkostüm, bestehend aus einem blumigen Rüschenkleid, dem Sonnenschirm, den Halbhandschuhen, dem gezackten Krönchen und der weiß-blauen Schärpe mit dem Aufdruck „Miss Schneizlreuth“ im Original aufbewahrt.
Prells Grab in Münchner Nordfriedhof [Grab 2-3-5] ist völlig unscheinbar, der bereits erwähnte Brunnen an der Leopoldstraße ist hingegen absolut sehenswert. Der vor dem Haus von Wolfgang Sand 1992 entworfene Brunnen widerspiegelt das bekannte Buhnenkostüm der Frau. In einem Neubaugebiet im Lochhausen wurde 2007 eine Straße nach ihr benannt.
WALTER SEDLMAYR
Walter Sedlmayr (1926-1990): Volksschauspieler, Fernsehregisseur und Autor, Fastenprediger vom Nockherberg, Paradebayer. Kaum einer hat den bayerischen Grantler besser verkörpert als er. Als er 1990 ermordet wurde, war das für seine Fans ein Schock – auch, weil sein verborgenes Ich bekannt wurde.
Ob als Revierleiter in der Fernsehserie „Polizeiinspektion 1“, als „Millionenbauer“ oder in unzähligen Volksstücken auf der Bühne und im Rundfunk, seine TV-Serien waren alle „Kult“. Zweifellos galt er als einer der besten Politiker-Derblecker auf dem Münchner Nockherberg: scharfsinnig und spitzzüngig, treffsicher.
Sedlmayrs legendäre Nockherberg-Begrüßung
In seiner Serie „Reisen mit Walter Sedlmayr (Einmal ... und zurück)“ stellt er als typischer deutscher Tourist humorvoll und mit seinem ihm eigenen Charme, aber immer mit spitzer Zunge dem Zusachauer seine Reisen vor, die ihn in die ganze Welt führten.
Reisen mit Walter Sedlmayr
Am 15. Juli 1990 wurde er im Schlafzimmer seiner Wohnung in der Elisabethstraße 5 mit einem Messer schwer verletzt und mit einem Hammer brutal erschlagen aufgefunden. Die Jagd nach den Tätern wurde für die Mordkommission zu einer mühevollen Aufgabe.
Durch die Ermittlungen kam das Privatleben des Volksschauspielers erstmals ans Licht. Der als „Vorzeige-Bayer“ bekannte Sedlmayr hatte immer seine Homosexualität verheimlicht, auch vor seinen Eltern.
Die Ermittlungen der Polizei konzentrierten sich zunächst auf die Stricherszene. Es stellte sich aber bald heraus, dass die Spuren am Tatort (die auf sadomasochistischn Sexualpraktiken hinwiesen) massiv gestellt worden waren. Zwischenzeitlich geriet Sedlmayrs Privatsekretär wegen eines gefälschten Testaments in Verdacht. Ein ganzes Jahr dauerte es, bis Sedlmayrs ehemaliger Ziehsohn Wolfgang Werlé und dessen Halbbruder Manfred Lauber von der Münchner Mordkommission verhaftet und im Mai 1993 dann in einem Indizienprozess zu lebenslanger Haft verurteilt wurden.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die beiden Täter, die 2007 und 2008 auf Bewährung entlassen wurden, mit zahlreichen Unterlassungsverfügungen gegen Onlinearchive es versuchten, die Löschung ihrer Namen zu erreichen. Am 15. Dezember 2009 entschied aber der Bundesgerichtshof, dass die Verurteilten keinen Anspruch auf Entfernung ihrer Namen aus Internetarchiven hatten, weil dies eine unzulässige Einschränkung der Meinungs- und Medienfreiheit bedeuten würde.
Walter Sedlmayrs Grabstätte liegt in „Prominentenfriedhof“ in Bogenhausen [Grab M-li-48].
HELMUT FISCHER
Helmut Fischer (1926-1997) war ein Schauspieler, der vor allem durch seine Rollen als bayerischer Volksschauspieler bekannt wurde. Er verkörperte in seinen Rollen den charmanten Hallodri und Vorstadt-Casanova. Fischers Markenzeichen war sein staksiger Gang, der mit einem Bandscheibenschaden zusammenhing.
Die beruflich entscheidende Begegnung Helmut Fischers war die Bekanntschaft mit dem Film- und Fernsehregisseur Helmut Dietl, die er 1974 in seinem Schwabinger Stammcafé Münchner Freiheit machte. Daraus wurde eine lebenslange Freundschaft und Berufspartnerschaft. 1978 engagierte ihn Dietl für die BR-Serie „Der ganz normale Wahnsinn“, in der Fischer auf Anhieb zum Publikumsliebling wurde. Ab 1979 spielte Fischer in der BR-Serie „Der Millionenbauer“, Der wirkliche Durchbruch kam mit der Serie „Monaco Franze“, die zur Kultserie wurde.
Monaco-Franze-Denkmal (Münchner Freiheit)
„A bisserl was geht immer“ war Monaco Franzes Motto. Vor 40 Jahren erschufen Helmut Dietl und Helmut Fischer die Figur Monaco Franze, die zur Kultfigur avancierte.
Imma des Gschies mid da Elli
Helmut Fischers Grabstätte liegt in „Prominentenfriedhof“ in Bogenhausen [Grab 2-4-2].
FILMTIPP: | |
Monaco Franze - Der ewige Stenz | |
Sein Leitspruch lautet: „A bissel was geht immer. Franz Münchinger alias Monaco Franze ist Kriminalkommissar in München und verheiratet mit der wohlsituierten adeligen Annette von Soettingen. So grundverschieden sie sind – er ein Kind aus dem kleinbürgerlichen Westend, sie die Dame von Welt – können sie nicht voneinander lassen. |
VÄTERCHEN TIMOFEJ
Mitten im Olympiapark in einem umzäunten Areal findet man einen liebevoll gestalteten Garten mit Blumenwiesen, Gewächshäusern und Obstbäumen. Darin befindet sich ein orthodoxes Kirchlein, die „Ost-West Friedenskirche“.
Hier lebte mehr als fünfzig Jahre lang Timofej Wassiljewitsch Prochorow (1894-2004), von den Münchnern liebevoll Väterchen Timofej genannt, der nach Jahren der Odyssee von Russland nach München gekommen war. Aus dem Kriegsschutt des Zweiten Weltkrieges baute er zusammen mit seiner Frau nach und nach ein kleines Haus, eine Kapelle und eine kleine Kirche.
Väterchen Timofej
Ende der sechziger Jahre wollte die Stadt München ihn ausquartieren, weil das Areal für die Stätten für die Olympischen Spiele 1972 bebaut werden sollten. Doch die Münchner machten nicht mit. Es hagelte Proteste und die Stadt ließ die Schwarzbauten, die Timofej von niemandem erworben und doch mit einem Stachelzaun als Klostergrund umgrenzt hatte, stehen, denn Gott und die Münchner waren sichtbar auf seiner Seite. So konnte diese kleine russische Enklave erhalten bleiben. Väterchen Timofej ruht im Münchner Westfriedhof [Gräberfeld 195]. Für Detail siehe Väterchen Timofej.
RUDOLPH MOSHAMMER
Rudolph Hans Albert Moshammer (1940-2005), von den Münchnern liebevoll „Mosi“ genannt, war ein prominenter Münchner Modedesigner, Inhaber einer Boutique auf der Münchner Maximilianstraße. Durch sein exzentrisches Auftreten in der Öffentlichkeit – bis 1993 an der Seite seiner Mutter – wurde Moshammer ab den 1980er-Jahren bundesweit bekannt. „Mosi“ wurde zum schrillsten Paradiesvogel der Schickeria. Die tiefschwarze Perücke mit den zwei Strähnen auf der Stirn und die Yorkshire-Dame namens „Daisy“ waren seine Markenzeichen.
Rudolph wuchs zunächst in gesicherten Verhältnissen auf. Als dann sein Vater seinen Job verlor und in die Obdachlosigkeit abdriftete und sich schließlich erschoss, war das der Anfang einer langen Zeit von „Kälte und Dunkelheit“. Rudolph und seine Mutter mussten jahrelang gegen die wirtschaftliche Not kämpfen. Aber er wollte mit aller Kraft nach oben, sich endlich wieder „satt essen können“ und „menschliche Anerkennung finden“. Er machte eine Textillehre und begann zu zeichnen und Mode an der Münchener Modeschule zu entwerfen. 1969 eröffnete er seine erste Boutique, die Herrenmode der Luxusklasse anbot – und hatte damit Erfolg.
Bald ließen sich Prominente aus aller Welt in seiner Edelboutique einkleiden. Erfolg, Luxus, Glamour, Reichtum – Moshammer hatte endlich reichlich davon. In seinem Rolls Royce fuhr er durch die Stadt und besuchte die Partys der Schickeria.
Doch er vergaß niemals seine schwierigen Jahre und blieb ein Leben lang sozial engagiert. Er gründete den Verein „Licht für Menschen ohne Obdach“, sammelte Geld und Kleidung. Noch kurz bevor er starb, wollte er ein Haus für Obdachlose bauen. Das schaffte er nicht mehr, denn 2005 wurde der extravagante Designer in seiner Villa im noblen Münchner Vorort Grünwald tot aufgefunden, getötet von einem Mann aus dem Strichermilieu.
Moshammers sterbliche Reste liegen in einem imposanten Mausoleum im Münchner Ostfriedhof [060-M-07].
Um das folgende Bild zu verstehen, muss man an die Aktion Münchner Löwenparade erinnern, eine Aktion des Vereins Münchner Löwenparade Leo e.V., bei der vom 28. April 2005 bis Ende Oktober 2006 im Stadtgebiet Münchens über 500 Löwen aus glasfaserverstärktem Kunststoff mit größtenteils kunsthandwerklicher Bemalung aufgestellt wurden.
Rudolph Moshammer als Löwe
SCHWABINGER GISELA
Schwabing ist das Stadtviertel, das weltweit mit der bayerischen Hauptstadt in Verbindung gebracht wird. Gerade Altschwabing steht für die goldene Jahre Münchens und löst noch heute bei jedem Münchner ein gutes Gefühl aus.
Gisela Jonas-Dialer (1929-2014), besser als „Schwabinger Gisela“ bekannt, war eine Chansonsängerin, die mit ihrem 1952 in München-Schwabing eröffneten Lokal Bei Gisela zu einer Institution wurde. Bei ihr trafen sich Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten und Altersklassen, prominente und weniger prominente Gäste.
Die Schwabinger Gisela sang mit ihrer dunklen Stimme auch leicht schlüpfrige Texte. Udo Jürgens und später auch Konstantin Wecker begleiteten sie am Klavier. Internationale Berühmtheiten wie Edward Kennedy, Juri Gagarin, Leonard Bernstein, Orson Welles, Ava Gardner und Kirk Douglas kamen zu ihr, als sie in München waren.
Für viele Münchner ist Schwabing auch heute noch ein Lebensgefühl: Nachmittags im Café, Flanieren auf der Leopoldstraße, laue Abende im Englischen Garten und Kleinkunst rund um die Münchner Freiheit. Auch wenn die goldenen Jahre vorbei sind, für die Gisela Jonas stand. In den 1960er- und 1970er-Jahren waren die international begehrtesten Clubs vor allem in Schwabing: Wo heute die Schauburg am Elisabethmarkt ist, eröffnete 1967 das Blow Up, die erste Großraumdisco Deutschlands, in der Jimi Hendrix seine ersten Live-Auftritte in der Republik hatte. Dann wurde der Stadtteil zum Mode-Viertel für die Schickeria und Prototyp der Gentrifizierung: Nach den Künstlern kamen die Cafés, die zogen Yuppies an, die Mieten stiegen und allmählich verlor das Viertel seine Echtheit und seinen Charme.
GERHARD POLT
Gerhard Polt (Jahrgang 1942) ist ein Münchner Kabarettist, Autor, Fernseh- und Filmschauspieler. In seinen Rollen persifliert Polt meist den engstirnigen Bürger und dessen stumpfsinnigen Ansichten. Seit über 40 Jahren brilliert Polt als Kabarettist und Satiriker, als Filmregisseur, Geschichtenerzähler und Philosoph. Wenn er auf der Bühne ist, dann werden die Zuschauer unweigerlich in seinen Bann gezogen.
Polt ist ein begnadeter Beobachter. Er schaut seinen Zeitgenossen genau aufs Maul und bedient sich bei seinen Sketches gerne bestimmter Klischees: beispielsweise die Intoleranz der Deutschen oder deren Fremdenfeindlichkeit („Der Asiate schmutzt nicht“). Aber auch Intellektuelle, Neureiche, Beamte oder Politiker bleiben nicht unverschont und werden von ihm pointiert dargestellt.
Polt und die Biermösl Blosen (Copyright Usien)
Einem größeren Publikum wurde Polt durch seine zwölfteilige Sketchreihe Fast wia im richtigen Leben bekannt. Seine Partnerin in diesen vom Bayerischen Rundfunk produzierten und 1979 erstmals ausgestrahlten Sendungen war Gisela Schneeberger. Es folgten Kinofilme wie Kehraus, Man spricht deutsch und Germanikus.
WILLY MICHL
Willy Michl (1950), eigentlich Wilhelm Karl Michl, ist ein überregional bekannter Münchner Liedermacher. Der Sänger ist auch als Isarindianer bekannt. Sein im Personalausweis eingetragener spiritueller Künstlername Sound of Thunder ist ein Zeichen seiner Verbundenheit mit den indigenen Völkern der Welt. Außerdem gilt Michl als Schöpfer des Musikgenres „Bairischer Blues“.
Seine Musik ist beeinflusst von Jazzgrößen wie Louis Armstrong, Glenn Miller und Benny Goodman, insbesondere aber auch von Rock ’n’ Roll Stars wie Bill Haley und Elvis Presley. Außerdem haben Willy Michl die Beatles, Rolling Stones, deutsche Stars wie Udo Jürgens und Drafi Deutscher, aber auch Barry McGuire und Bob Dylan in seinen Anfängen inspiriert.
Michl sieht alle Menschen, „egal woher sie kommen und wohin sie gehen“, und alle Lebewesen als seine „Brüder und Schwestern“. Zugleich beherrscht der Sänger und Entertainer auch die Kunst der Ironie, auch auf sich selbst bezogen. Sein Lieblingsort ist – wie könnte es anders sein? – die Isar. Sein Lied „Isarflimmern“ ist de facto zur als inoffiziellen Hymne Münchens geworden.
Isarflimmern
DER PUMUCKL
Eigentlich ist dieser „Münchner Original“ nur eine fiktive Figur, seine Autorin ist zudem keine Münchnerin, aber dank der Fernsehserie, die im typischen Münchner Ambiente spielt, ist aus dem Pumuckl ein waschechter Münchner geworden!
Die Kinderbuchautorin Ellis Kaut erfand 1962 die Figur Pumuckl, die zuächst als Hörspiel im Bayerischen Rundfunk gesendet wurde. Ab 1965 erschienen dann die Bücher und ab 1982 die Fernsehserie Meister Eder und sein Pumuckl. Sie handelt von dem kindlichen Kobold Pumuckl, der für den Münchner Schreinermeister Franz Eder sichtbar wurde, weil er an dessen Leimtopf kleben geblieben war. Nach „Koboldsgesetz“ muss Pumuckl nun bei diesem Menschen bleiben.
Der Pumuckl (Wandmalerei im Westend)
Am 21. Februar 1962 hatte der Bayerische Rundfunk das erste Pumuckl-Hörspiel gesendet. 20 Jahre später, im September 1982, startete die Fernsehserie. Am 21. Februar 2022 wird also Pumuckl, der Kobold, der fiese Streiche macht, alberne Reime erfindet und meistens erfrischend ungehorsam ist, 60 Jahre alt. Ganze Generationen von Kindern sind mit den Geschichten des Schreinermeisters Eder und seines frechen Kobolds aufgewachsen.
Pumuckl frühstückt mit einer Katze
In der Fernsehserie trieb der Kobold vor allem in Münchner Stadtviertel Haidhausen sein Unwesen. Der Journalist Sebastian Kuboth hat die Drehorte recherchiert und veranstaltet regelmäßige Führungen zu den „Locations“.
BUCHTIPP: | |
Münchner Originale (Liebenswerte Sonderlinge von gestern und heute) | |
In allen Jahrhunderten tummelten sich in München liebenswerten Sonderlinge, die aus allen Bevölkerungsschichten kamen und stadtbekannt waren. Aber auch in unsren Tagen gibt es sie noch. So sind wohl jedem Münchner das Väterchen Timofej oder der Monaco Franze ein Begriff. |
BUCHTIPP: | |
111 Orte in München, die man gesehen haben muß | |
Wussten Sie, dass Thomas Manns Braunbär zum Greifen nah in München steht, dass Michael Jackson für immer an der Isar bleibt und dass es in München neben Hellabrunn einen zweiten Zoo gibt? Haben Sie schon einmal in Fröttmaning Halluzinationen gehabt, in einer Theaterkantine einen tollen Abend verlebt oder köstlich zwischen Fresken gespeist? Dieses Buch führt selbst Münchner an Orte, die sie staunen lassen, und erzählt Geschichten, die noch niemand gehört hat. Und das gleich 111 Mal. | |