RUND UM DIE PANZERWIESE
8. JUNI 2021:
Ein sonniger und klarer Frühsommertag. Die Panzerwiese, eine der wenigen Stellen in München, wo man eine weite Landschaft und einen von keinerlei Gebäuden verstellten Himmel erleben kann, zieht mich unwiderstehlich an.
Begrenzt wird die Panzerwiese, eine etwa 200 Hektar große Heidefläche in Feldmoching, die in jeder Jahreszeit ein schönes Ziel für einen Spaziergang ist, durch die Ingolstädter Straße (B13) im Osten, einige Wohnsiedlungen im Süden, im Westen durch die Schleißheimerstraße und im Norden durch das Hartelholz. Die Panzerwiese ist ein wichtiges Teilstück der früher bis weit in das Stadtgebiet hinein reichenden Heidelandschaft, zu deren Schutz man bereits 2002 eine Naturschutzgebietsverordnung erlassen hat. Die Panzerwiese wurde bis 1981 von der Bundeswehr als Standortübungsplatz genutzt. Heute werden die Flächen von Schafen beweidet und relativ intensiv zur Naherholung genutzt.
Erwähnenswert ist, dass auf der Panzerwiese und rund um die südlich davon liegende SS-Kaserne (heute Sanitätsakademie der Bundeswehr) die letzten schweren Kämpfe des Zweiten Weltkriegs in München tobten. Die Amerikaner verloren allein dort 15 Panzer, 70 ihrer Soldaten starben, etliche wurden verwundet. Am Nachmittag des 30. April, dem Tag, an dem Hitler Selbstmord beging, war der Widerstand in der Kaserne gebrochen.
Die auf der Karte eingezeichnete Route kann beliebig variiert werden. Unzählig sind die Pfade, die man im Wald gehen kann, und auch die Panzerwiese selbst ist durchzogen von Pfaden. Sehen Sie sich die Panzerwiese auf Google Maps an!
Die Panzerwiese kann man von der nordöstlichen Seite anfahren (siehe dazu Von der Panzerwiese ... ) oder mit der U2 (Station Dülferstraße) im Südwesten anpeilen.
Das Erste, was man sieht, wenn man von der U-Bahn kommt, ist das 2008 eröffnete Einkaufszentrum mira mit seiner ins Auge springenden bunten Fassade, die aus zahlreichen farbig lackierten Metallpaneelen gebildet ist.
Da die Seiten der Paneele verschieden gefärbt sind, erscheint die Fassade aus Südwesten und aus Nordwesten gesehen in unterschiedlichen Farben. Dazwischen findet ein allmählicher Übergang statt, sodass sich das Bild des Gebäudes beim Vorbeigehen oder -fahren dynamisch verändert.
Nördlich, direkt hinter dem mira befindet sich das im September 2015 eröffnete Berufsschulzentrum (auf Google Street View sieht man interessanterweise noch die unbebaute Wiese).
Auf dem Vorplatz dieses Schulgebäudes kann man die erste „Sehenswürdigkeit“ meiner Tour bewundern, die Installation Baumschule des Künstlerkollektivs Observatorium.
Baumschule (Künstlerkollektiv Observatorium)
Eingefasst und überdacht von einer Betonkonstruktion wächst eine Grau-Pappel in die Höhe. Bei näherer Betrachtung dieser Konstruktion (Details) sieht man, dass die Künstler ein Modul aus dem Schulgebäude mit Tür- und Fensteröffnungen nachgebildet haben.
Hier im äußersten Norden Münchens steht ein interessantes neues Siedlungsgebiet, die Nordhaide. Von den Bewohnern liebevoll „Panzerwiese“ genannt, überrascht sie mit interessanter Architektur und einem neuen Wohnkonzept. Vorbei sind die Zeiten, in denen die „Fantasie“ der Architekten nur gesichtslose Wohnsilos nach Art von Neu-Perlach zustande brachte. Die Siedlung umfasst heute mehrere drei- bis achtgeschossige Wohnblöcke mit etwa 2500 Wohnungen, darunter ein Studentenwohnheim sowie diverse Gewerbeflächen (Ärztehaus, Einkaufszentrum mira und andere).
Ursprünglich sollte die bis Ende der 1980-er Jahre militärisch als Übungsplatz genutzte (einige Betonfragmente erinnern heute noch daran) und für die Öffentlichkeit gesperrte Panzerwiese wegen des angespannten Wohnungsmarkts komplett städtebaulich erschlossen werden. Glücklicherweise war ein bereits 1990 erstelltes Gutachten wegen der ökologischen Bedeutung des europaweit einmaligen Areals zu dem Schluss gekommen, dass nur der Südteil der Wiese bebaut werden dürfe.
Deshalb wurde schließlich nur ein kleiner Teil der 200 Hektar großen Fläche für die neue Wohnsiedlung freigegeben. Das neue Viertel Nordhaide entstand auf 30 Hektar im Südwesten der Panzerwiese. Die besonders schützenswerten Heideflächen mit ihren seltenen Kalkmagerrasen stehen seit 2002 unter Naturschutz.
Mehr als ein Drittel des Wohnraums sind öffentlich geförderte Mietwohnungen, darüber hinaus wurde ein weiteres Drittel der Wohnungen über das sogenannte „München Modell“ an Haushalte mit mittlerem Einkommen zu gesonderten Konditionen vergeben.
Die Straßen der Siedlung wurden nach den seltenen Heideblumen benannt, die auf der angrenzenden Panzerwiese wachsen, wie zum Beispiel der Golddistelanger, der Felsennelkenanger oder der Fingerkrautanger.
Echtes Labkraut
Am Waldrand: Bunte Kronwicke
In der Pufferzone zwischen dem Siedlungsgebiet Nordhaide und dem Naturschutzgebiet Panzerwiese kann man eine mehrteilige Kunstinstallation des Karlsruher Künstlers Georg Schweitzer und seiner Partnerin Nadja Stemmer bestaunen. Sie inszenierten den Mythos Venedig als romantisches Bild. Inspiriert wurden die beiden Künstler von der wie ein Meer wirkende Heide und von einem Vorhaben des Kurfürsten Max Emanuel, der in der Barockzeit einen Kanal von der Münchner Residenz zum Schloss Schleißheim geplant hatte, der auf seinem Weg dorthin auch die Panzerwiese durchquert hätte.
Auf einer kleinen Bastion steht ein Löwe, das gemeinsame Hoheitszeichen von Bayern und Venedig, wenn auch dem Löwen die Flügel fehlen, die ein Attribut des Markuslöwen von Venedig sind. An der Mauer der Bastion ist ein Textauszug aus Thomas Manns Novelle „Tod in Venedig“ zu lesen.
Von der Bastion aus führt ein 50 Meter langer Bootssteg, an dessen Ende zwei in streifen bemalte, typisch venezianische Stegpfosten (die so genannten „paline“) stehen – in Richtung Heide, in einen imaginären Kanal.
Die Hauptattraktion ist eine große Gondel auf einem durch Holzpfosten nachempfundenen Kanal, der genau auf dem Weg verlaufen soll, auf dem Kurfürst Max Emanuel damals seinen Kanal geplant hatte.
An anderer Stelle spielt eine leicht schiefstehende Straßenlampe auf das allmähliche Versinken Venedigs an.
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Der Norden Münchens mag vielleicht den Flair manch eines Viertels im Münchner Süden vermissen; von Plattenbauten und Hochhäusern geprägte Trabantensiedlungen wie das angrenzende Hasenbergl sind sicher keine Augenweide. Wenn ich aber hier am Rand der Nordhaide stehe und auf das Grasmeer der Panzerwiese blicke, dann ist mir bewusst, was für einen Wohnwert das Viertel besitzt. Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2011 sind 90 % aller Befragten zufrieden mit ihrer Wohnsituation in der Nordhaide. Ein Naturschutzgebiet vor der Haustür, eine sichere und kinderfreundliche Atmosphäre, die Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr. Eine Viertelstunde fährt die U-Bahn von hier in die Münchner Innenstadt.
Die Panzerwiese: Blick nach Norden
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Mich zieht es weiter zu einem Waldgebiet, das die Panzerwiese nach Norden abschottet.
Der Weg dorthin führt mich an der römisch-katholischen Mariä-Sieben-Schmerzen-Kirche vorbei. Diese befindet sich bereits im Viertel Hasenbergl.
Mariae Sieben Schmerzen Kirche
Sieben-Schmerzen-Kirchen nennt man diejenigen Marienkirchen, die dem Gedenken der sieben Schmerzen der Mutter Jesu gewidmet sind.
Mariae Sieben Schmerz Kirche
Von der Kirche sind es nur ein paar Hundert Meter zum 115 Hektar großen Hartelholz. Während die Größe der Panzerwiese und der offene Himmel – ich nenne ihn „Big Sky“ – bei mir Wildwest-Filme-Reminiszenzen wecken und sich bei mir eine Illusion der unbegrenzten Freiheit einstellt, ist die Wirkung des das Hartelholzes auf mein Gemüt völlig anders.
Im Hartelholz
Das Eintauchen in die lebendige Stille des Waldes, die entspannende Wirkung des Dämmerlichts, die Düfte, die Bäume und Pflanzen aussenden, die Vielfalt der Formen, die von der Natur hervorgebracht wurden, das alles macht etwas mit mir, es gibt mir einerseits ein Gefühl der Geborgenheit, andrerseits weckt es meine Neugierde, als müsste ich diesem Wald irgendwelche „Geheimnisse“ entlocken.
Im Hartelholz
Gar nicht zu sprechen vom Bewusstsein, dass ein kleiner Spaziergang im Wald für meine Gesundheit und gegen den Alltagsstress echte Wunder bewirken kann. Ich will das Modewort „Waldbaden“ nicht strapazieren, aber objektiv gesehen liefert ein Wald überzeugende Daten: 99 % weniger Staubteilchen und eine durch ätherische Öle angereicherte Luft regenerieren die Lungen. Der Schutz vor intensiver Sonneneinstrahlung und die höhere Luftfeuchtigkeit werden ebenfalls als angenehm empfunden. Außerdem hilft der im Sommer meist 2-3 °C kältere Wald gegen die Hitze.
Rotkiefer
Das Hartelholz ist eine natürliche Waldentwicklung zum Eichen-Kiefernwald auf einem ursprünglichen Heidestandort, der nur teilweise von standortfremden Fichtenaufforstungen durchsetzt ist. Es ist ein „richtiger“ Wald, keine Fichtenplantage. Die Mischung aus lichten Waldteilen, offenen Flächen und dichterem Wald und vor allem die Vielfalt der Baumarten machen ihn interessant. Unter den Bäumen herrschen im Hartelholz Waldkiefer und Stieleiche vor, aber ebenso findet man Ahornbäume, Buchen, Rotkiefern und Fichten.
Fichtensprösslinge
Haselnuss-Strauch
Die letzten Weißdornblüten des Frühlings
Weil die Luft heute außerordentlich klar ist, zieht es mich immer wieder vom schattigen Wald an dessen Rand, wo ein kleiner Pfad verläuft und die Aussicht auf die Weite dieser Münchner Landschaft überwältigend ist. Leider gibt es am Waldrand nur ein paar Sitzbänke für müde Spaziergänger wie mich. Immerhin beträgt der gesamte Umfang der Panzerwiese mehr als 5 Kilometer.
Gemütlich auf solch einer Bank sitzend genieße ich eine Zeit lang die bukolische Idylle einer Herde grasender Schafe! Seit Jahrzehnten fressen Schafe schon auf der Panzerwiese. Sie sind auf dem Naturschutzgebiet fürs Mähen zuständig.
Die Landwirtin Anni Feser, deren Familie sich seit Generationen mit Schafzucht befasst und das Areal von der Stadt gepachtet hat, kümmert sich mit ihren Hunden Tiger und Bella um eine Herde von etwa 500 Tieren. Da gibt es immer etwas zu tun, und sei es, frei laufende, nicht an der Leine geführten Hunde von der Herde fernzuhalten. Sie teilt sich diese Aufgabe mit ihrer Tochter Martina, die am Vormittag hier auf der Panzerwiese zu finden ist. Mit Einbruch der Dunkelheit ziehen sich die Tiere in ein eingezäunten Bereich zurück.
Im Nordosten der Panzerwiese, für mich die schönste Ecke dieser naturgeschützten Landschaft, kann man ein sehr fotogenes lichtes Kiefernwäldchen bestaunen. Ich hätte gedacht, dass die Waldkiefer (Pinus Silvestris) mehr eine Baumart des Südens sei. In der Tat wäre die Waldkiefer in Deutschland von Natur aus eine eher seltene Baumart. Da die Waldkiefer aber in ihrer Jugend sehr robust ist und auch unter schwierigen Verhältnissen noch gute Holzerträge liefert, wurde sie von den deutschen Waldbesitzern und Forstleuten seit Jahrhunderten großflächig angebaut. So ist sie heute nach der Gemeinen Fichte die zweithäufigste Baumart in den deutschen Wäldern. Die Kiefern wachsen heute auf 23% der deutschen Waldfläche.
Kiefern im Nordosten der Panzerwiese
Als ich vom Kiefernwäldchen in Richtung Süden gehe, ist bereits vorgerückter Nachmittag. Die tiefer stehende Sonne hat begonnen, den Farben eine besondere Strahlkraft zu geben und mittels längerer Schatten die Formen der Landschaft hervorzuheben.
Während mir in dieser selten klaren Luft ein sanfter Wind übers Gesicht streicht und die Gräser in wellenförmige Bewegungen versetzt, lasse ich meiner Fantasie freien Lauf und sehe mich in einer endlosen Prärie in den „Great Plains“ des „Wilden Westen“ (Wyoming? Kansas?) zum Horizont hin reiten.
Nur dass der – immerhin ein Kilometer entfernte – „Horizont“ an der Neubausiedlung endet, die im Südosten die Panzerwiese abschließt.
Immerhin tröstlich, dass diese Siedlung, die aus der Ferne wie eine gesichtslose Massensiedlung aussieht, einen eigenen, sehr wohnlichen und ästhetisch anspruchsvollen Charakter aufweist.
Ich komme ins Gespräch mit zwei Frauen, die sich zwar positiv über die Siedlung äußern, aber beklagen, dass seit dem Bau der Siedlung Nordhaide hier auch der letzte Lebensmittelladen geschlossen hat. So müssen sie jedes Mal den mühsamen langen Weg zum (anfangs beschriebenen) Einkaufszentrum mira nehmen.
Auf dem Weg dorthin, zum Startpunkt meines Spaziergangs, komme ich an einer großen Spielwiese vorbei, an einem Skatepark und einem Kinderspielplatz. Ohne Zweifel: Eine gute Mischung von Grünflächen und Bebauung, von Arbeitsstätten, Wohnungen und Geschäften sowie Kultur- und Sporteinrichtungen sorgt dafür, dass man in dieser Ecke im Norden Münchens gut leben kann.
Weiter westlich komme ich an einer älteren Siedlung vorbei, die ebenso an die Panzerwiese grenzt. Die Wohnanlage München-Nord wurde Mitte der 1950-er Jahre für die Unterbringung von US-Militärangehörigen und deren Familien erbaut. Sie grenzte direkt an die Panzerwiese, die als Truppenübungsplatz diente. Aus der SS-Kaserne München-Freimannn wurden die „Warner Barracks“. Es gab ein Einkaufszentrum, mehrere Kinos, eigene Clubs.
Nach Abzug der US-Truppen ging die Siedlung an die Bundesrepublik Deutschland zurück. Planungen von Nachverdichtungen werden derzeit von der BImA (Bundesanstalt für Immobilienaufgaben) intensiv vorangetrieben.
Die Familien der höheren Offiziere lebten in kleineren Doppelhäusern an der Mortonstraße . Auch hier sieht die BImA ein „durchaus beträchtliches Nachverdichtungspotenzial“. Ich sehe hingegen eine bedrohte Idylle, alte zweigeschossige Häuser, bei einigen von denen der Putz abbröckelt und die Vorgärten ungepflegt aussehen. Aber sie sind eingebettet in viel Grün, mit ungemähten Wiesen, wuchernden Sträuchern, riesigen Bäumen. In Behörden-Deutsch: „Das Viertel weist eine intensive und sehr erhaltenswerte Durchgrünung mit sehr erhaltenswertem Baumbestand auf“.
In der Mortonstraße
Es ist keine Architektur, über die in Fachzeitschriften berichtet wird, kein Touristenziel, absolut nichts „Sehenswertes“. Eigentlich nur ein Stück Stadt, ein Mikrokosmos des früheren US-amerikanischem Lebens in Deutschland, der eine Geschichte erzählt, wenn auch nur denjenigen, deren Fantasie es zulässt.
Die Häuserfronten strahlen eine eigentümlich melancholische Monotonie aus. Ganz anders die straßenabgewandte Seite. Dort sieht man überraschende Zeichen des Lebens: gemähte Rasen, Gartenhäuschen, aufgespannte Sonnenschirme, Gartentische und -stühle, Topfpflanzen und Blumen.
Ein Lichtblick: Die BIma sieht ihre Hände derzeit an der Mortonstraße gebunden, weil man den Mietern schon früher zugesichert hatte, man werde das Projekt nur sukzessive verwirklichen und dabei niemanden vor die Tür setzen. Jedenfalls hofft die BImA, den einen oder anderen Mieter von einem Umzug in ein anderes Objekt überzeugen zu können.