AM PLATZL
2. SEPTEMBER 2022
Das Platzl gehört zu den wenigen Ecken Münchens – neben dem Dreifaltigkeitsplatz am Viktualienmarkt und dem Alten Hof –, die erahnen lassen, wie die Altstadt Münchens einst ausgesehen hat: Hier findet man selten gewordene Beispiele für Altmünchner Bürgerhäuser. Teilweise sind auch Reste aus dem Mittelalter erhalten. Hauptbauphasen waren die Renaissance und der Barock.
Am Platzl steht seit 1608 auch die berühmteste Sehenswürdigkeit der Stadt, das Hofbräuhaus. Das Neorenaissance-Gebäude sorgt für historisches Ambiente und altmünchnerischen Flair.
Mein Spaziergang beginnt am Alten Rathaus, an dessen Ecke eine zauberhafte Mädchenstatue aus Bronze steht. Es handelt sich um die berühmte Julia, ein Geschenk einer Sparkasse aus Verona, Münchens Partnerstadt. Oft hat das Mädchen Blumen in den Armen, eine Gabe von Menschen, die in Julia eine Fürbitterin der Liebenden sehen.
Julia-Statue am Alten Rathaus
Von hier geht es weiter in die Sparkassenstraße. Man geht unter eine Brücke durch, die sich seit 1800 als Verbindung zwischen dem Alten Rathaus und dem Sparkassengebäude spannt. Der Bau der Stadtsparkasse ist ein lang gestreckter malerischer Bau in deutscher Renaissance. Besonders interessant sind die polygonalen Eckerker an der Ecke zum Tal und zur Ledererstraße.
Nordwest-Fassade der Stadtsparkasse
Seitdem ich auf meinen Spaziegängen in den großen Münchner Friedhöfen den Architekten und Stadtbaurat Hans Grässel (1860-1939) kennengelernt habe, bin ich immer wieder entzückt, wenn ich auf eines seiner Bauten stoße.
Im Scholastikahaus an der Ecke zur Ledererstraße gastierte einst das legendäre Restaurant Haxnbauer. Dort soll es die besten Schweinshaxen der Stadt gegeben haben. Weil aber der Pachtvertrag des Gastwirtes Peter Reichert im Oktober 2022 endet, wird ab November die Augustiner-Brauerei der neue Pächter sein.
Denkmal des Akademischen Gesangvereins am Scholastikahaus
Das 1914–1915 von Heilmann und Littmann nach Entwurf von Ludwig Ullmann errichtete Gebäude gehört dem Akademischen Gesangverein München (AGV) – neben dem Lokal befinden sich darin das Studentenwohnheim, historische Gebäude des Vereins und Übungsräume.
An der Ecke Sparkassen-/ Pfisterstraße fällt die nahezu vollständig mit Kletterpflanzen bewachsene Fassade des Restaurants Pfistermühle auf, welches gehobene bayerische Küche bietet. Der Name erinnert daran, dass sich hier die ehemalige Getreidemühle und Bäckerei der Hofpfisterei (lat.: pistor = Bäcker) befand. Das Gebäude ist als Baudenkmal in die Bayerische Denkmalliste eingetragen. Die Energie zum Betrieb der Mühle wurde von einem Bach geliefert, der damals an der Stelle der heutigen Sparkassenstraße floss.
Die Hofpfisterei, deren Ursprung bis in das Jahr 1331 zurückreicht, ist dafür bekannt, dass sie sich auf die Herstellung von Backwaren mit ökologisch erzeugten Zutaten spezialisiert hat.
Restaurant Pfistermühle
Die Traditionsgeschäfte haben es in München schwer. Gleich am Anfang der Pfisterstraße befindet sich die kleine Werkstatt des Kürschnermeisters Fröhlich, der in München seine Pelze verkauft. Er blieb erfolgreich. Ende März 2023 wird er dennoch (aus Altersgründen) seinen Laden schließen.
In der Pfisterstraße reihen sich wunderschöne Altmünchner Bürgerhäuser, klassizistisch und im Neorenaissance-Stil, mit malerischen Erkern, Giebel und plastischem Dekor.
Deutsche-Renaissance-Haus in der Pfisterstraße
Heute erschließen Passagen die einst verschlossenen Innenhöfe von einigen der prächtigen historischen Bauten. In einer von diesen, ein Durchgang von der Pfister- in die Falkenstraße, findet man unter anderem einen Juwelier, einen Musikladen und ein Atelier für erotische Fotos.
Musikladen in der Passage zur Maximilianstraße
In den privaten Foto-Shootings von „Darling fatale“ bekommt jedes Model seinen individuellen Auftritt und jeder Körper seine perfekte Pose.
Eine Abzweigung des Durchgangs führt in die stilvolle Orlando-Passage, die sich gleich am Anfang zu einer Art Patio erweitert, dessen herrliche rautenförmige Fliesen sowie einige Tischen des Restaurants Goldig im Boettners, ein elegantes Ambiente bilden.
Die Orlando-Passage
Das oben genannte italienische Lokal befindet sich seit Sommer 2020 in diesem 1896 vom Architekten Karl Stöhrer errichteten Haus. Die Bezeichnung „in Boettners“ beruft sich auf das 1901 von Alfred Boettner im Tal eröffnete und 1905 in die Theatinerstraße gezogene Restaurant. Damals galt es als eines der feinsten Restaurants Münchens. 2002 zog das Restaurant in die Pfisterstraße. Nachdem es Ende 2015 geschlossen wurde, übernahm Ende 2016 Alfons Schuhbeck das Lokal und eröffnete sein Restaurant „Schuhbecks Fine Dining“, welches unter Küchenchef Maurice Kriegs mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet wurde. Ende 2019 wurde das Restaurant wieder geschlossen. Im Sommer 2020 eröffnete hier schließlich das italienische Lokal „Goldig im Boettners“.
Eingang des Goldig-Restaurants in der Pfisterstraße
Das Ambiente des Lokals ist außerordentlich. Laut der Süddeutschen Zeitung „ serviert das Goldig im Boettners klassisch-mediterrane Küche zu meist erstaunlich moderaten Preisen. Kulinarische Überraschungen allerdings sucht man vergebens“.
Auf der rechten Seite der Pfisterstraße gelangt man über die sogenannten Platzl-Gassen in einen weiteren wundervollen, für die Allgemeinheit erschlossenen Innenhof. Hier ließen zwei junge Kreative eine alte Handwerkstradition wieder aufleben: die Hutmacherei.
Innenhof (Platzl-Gassen)
Durch die Pfisterstraße kommt man direkt zum Orlando-Haus, welches nach dem Renaissance-Komponist Orlando di Lasso benannt ist, dessen Wohnhaus früher dort stand. Der Komponist lebte von 1556 bis zu seinem Tod am 14. Juni 1594 in München.
Orlando-Haus
In der Architektursprache ausgedrückt: „Orlando-Haus, Mietshaus mit Gastronomie, fünfgeschossiger Eckbau mit rustikagerahmten Erdgeschossarkaden, Flacherker besetztem Südrisalit, und Volutengiebeln, Gestaltung in Formen der deutschen Renaissance, erbaut von Jakob Heilmann und Max Littmann, 1898/99“ (Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege)
Es gab Zeiten, da war das Platzl fest in der Hand des Sternekochs Alfons Schuhbeck. Er hatte hier sein Restaurant Orlando, seine Südtiroler Stuben und das Lokal Münchner Kindl Stuben. Doch diese Ära endet jetzt endgültig mit Schuhbecks Insolvenz und seiner Verurteilung wegen Steuerhinterziehung. Im Orlando-Haus wurde inzwischen von bekannten Münchner Gastronomen das „auf Aromavielfalt setzende“ VIP-Restaurant Ornella eröffnet. Der Stil ist italienisch-japanisch.
Auch in den Südtiroler Stuben am Platzl gingen nach der Silvesternacht die Lichter aus. Zwei Jahrzehnte lang haben diese das Bild mitgeprägt, das München in der Gourmet-Welt abgab.
Schuhbecks (ehemalige) Südtiroler Stuben
Ähnliches gilt für die Münchner Kindl Stuben, bei denen der Eigentümer, die Bayerische Staatsoper, Eigenbedarf angekündigt hat.
Münchner-Kindl-Stuben
Fast jedes Gebäude am Platzl ist ein Altmünchner Juwel. Beschreibende Fachwörter wie Putzbau mit Muschelkalk, breiter Kastenerker, neugotische Muttergottesfigur, deutsche Renaissance, Ohrwaschl und steiles Satteldach gäbe es in Hülle und Fülle. Ein Augenschmaus für Architektur-Interessierte.
Häuser Platzl 1a, 2 und 3
An dieser Stelle sollte erwähnt werden, dass das Platzl bis in die 1970er-Jahre Rotlichtbezirk war. Mit der Einführung des Sperrbezirks mussten die Damen ausziehen. In der Innenstadt wurde die Prostitution verboten. Schließlich wollte man sich zur Olympiade „gesittet“ präsentieren.
Das Hofbräuhaus – ein Neorenaissance-Gebäude
Was man bei jeder Führung erzählt bekommt, ist, dass Bayern im 16. Jahrhundert noch keine Biernation war. Man trank neben Wein zwar auch Bier, dieses kam allerdings aus Norddeutschland. Und weil dieses Bier teuer war, gab Herzog Wilhelm V. am 27. September 1589 den Bau einer eigenen Brauerei in Auftrag. Das Hofbräuhaus war geboren!
Die im Erdgeschoss gelegene historische Schwemme ist das Herzstück des Hofbräuhauses. Hier wurde früher das Hofbräuhausbier gebraut. Heute finden unter den Kreuzgewölben bis zu 1300 Gäste Platz, an Tischen, die zum Teil seit dem Jahre 1897 hier stehen. Im Zentrum ist das Musikpodium, wo täglich die hauseigenen Musikkapellen spielen. Zahlreiche weitere Räumlichkeiten stehen den Gästen zur Verfügung.
In der Schwemme
Genauer genommen gibt es in München zwei Hofbräuhäuser: das Stammhaus am Platzl – und den Hofbräukeller in Haidhausen. Das ist darauf zurückzuführen, dass München im 19. Jahrhundert schon ein beliebtes Ausflugs- und Urlaubsziel war. Prinzregent Luitpold beschloss deshalb, den Gastraum zu vergrößern. Die Brauanlagen wurden an die Innere Wiener Straße verlegt, in den neu gebauten Hofbräukeller. Am 2. September 1896 wurde dann das alte Gebäude am Platzl abgerissen, das neue am 22. September 1897 eröffnet.
Heutzutage wird auch im Hofbräukeller nicht mehr gebraut: 1988 zog die Brauerei nach Riem in eine moderne und größere Anlage um.
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Hier im Hofbräuhaus hatte übrigens Alois Hingerl, besser bekannt als Engel Aloisius, seinen Stammtisch. Für Nichtmünchner: Es handelt sich um den Protagonisten der Kurzgeschichte „Der Münchner im Himmel“, eine humoristische Satire des bayerischen Schriftstellers Ludwig Thoma. In ihr behandelt Thoma mit einem liebevollen Augenzwinkern das Klischee des typisch Bayerischen, insbesondere des Münchner Grantlers. Und es war im Hofbräuhaus, wo Ludwig Thoma seinen Dienstmann Aloisius erfand.
Engel Aloisius
Im folgenden von Traudl und Walter Reiner gezeichneten und von Adolf Gondrell vorgetragenen Zeichentrickfilm ist die ganze Geschichte zu erleben.
Laut, lauter, Hofbräuhaus. Die alte bayerische Gemütlichkeit ist zu einem Massenbetrieb für Touristen geworden, an manchen Tagen ist der Geräuschpegel derart hoch, dass man vor lauter Menschen die eigene Stimme kaum hören kann.
Man würde es kaum glauben: Unter uralten Kastanienbäumen, umfasst von den historischen Mauern des Hofbräuhauses, befindet sich ein urgemütlicher Biergarten. Er hat einen ganz besonderen Charme. Hier gibt es sie noch, die münchner Gemütlichkeit. Und die Lautstärke bleibt, obwohl fast 400 Gäste im Biergarten Platz finden, erstaunlich niedrig.
Im Hofbräuhaus-Biergarten
Das bekannteste Lied übers Hofbräuhaus stammt übrigens von einem „Preußen“. Das bis heute als Stimmungs- und Trinklied weltweit bekannte „In München steht ein Hofbräuhaus“ wurde 1935 vom Berliner Komponisten Wilhelm Gabriel komponiert. Laut einer Legende soll Gabriel die Melodie im Berliner Café am Zoo eingefallen sein.
Weißwurstfrühstück
Zahlreiche berühmte Gäste besuchten das Hofbräuhaus, unter ihnen Wolfgang Amadeus Mozart, die Kaiserin Elisabeth (Sisi) und Lenin, der sich während seiner Emigration einige Jahre in München aufhielt. Seine Ehefrau Nadeshda soll gesagt haben: „Besonders gern erinnern wir uns an das Hofbräuhaus, wo das gute Bier alle Klassenunterschiede verwischt.“
Am 24. Februar 1920 wurde im großen Festsaal des Hofbräuhauses die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) gegründet. Hitler und seine Gefolgsleute veröffentlichten ihr 25-Punkte-Parteiprogramm, in dem sie unter anderem die „Aufhebung des Versailler Friedensvertrages“ und der „Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft von Juden“ forderten.
Der große Festsaal im Hofbräuhaus
Wie bei allen Tourismus-Hotspots hat sich auch am Platzl einiges verändert – weg vom Tradionellen, hin zum reinen Kommerz. Vor dem Orlando-Haus drehte einst Karl Valentin seine ersten Filme, im Theater am Platzl sang Weiß Ferdl für sechs Mark und zwei Freibier Gage pro Abend seine Spottlieder. Die dicke Bally Prell gab die „Schönheitskönigin von Schneizlreuth“. Der Volksschauspieler Michl Lang verkörperte Rollen humorvoll-spitzbübischer Charaktere.
Heute gibt es neben dem Wirtshaus Ayinger und dem Augustiner am Platzl ein japanisches Restaurant, das Selbstbedienungscafé Starbucks, der Dubliner Irish Pub, ein Pommesladen, die Gelateria Garda und ein FC Bayern Store.
Augustiner am Platzl
1992 wurde die Volksbühne „Platzl“ geschlossen. Seit 2002 befindet sich hier (gegenüber dem Augustiner am Platzl) das Hard Rock Cafe Munich, eine Filiale der gleichnamigen amerikanischen Gastronomie-Kette.
Im Hard Rock Café
Pommesfreunde
Der südliche Teil der Orlandostraße ist ein einziger Souvenirladen, wo sich Kitsch an Originellem reiht und Touristen tief in die Tasche greifen müssen. Weiß-blaue Magnete, Bierkrüge, Schlüsselanhänger, Filzhüte, Ansichtskarten in allen Größen.
De Orlando-Straße Richtung Süden
Was für die Souvenirläden im Schwarzwald die Kuckucksuhren sind, das sind in Bayern die Bierkrüge: Glas- oder Steinkrüge, mit oder ohne Zinndeckel, mit Bayern-Raute oder Wappen, zylindrisch oder konisch, mit einem Relief versehen oder mit Aufschriften, mit szenischen Darstellungen bedruckt oder bemalt.
Freilich mach sich das Fehlen der russischen und der chinesischen Touristen auf das Geschäft bemerkbar. Nichtsdestotrotz war es bisher ein guter Sommer. Europäische und amerikanische Gäste konnten die Lücke offenbar gut füllen.
Ob das bayerisch-traditionelle Ambiente dazu inspiriert? Jedenfalls befinden am Platzl noch immer eine Reihe von Studentenverbindungen (sogenannte Burschenschaften). Viele von ihnen, beispielsweise das „Corps Bavaria“ in dessen Reihen sich Studenten der Ludwig-Maximilians-Universität finden, entstanden Mitte des 19. Jahrhunderts und siedelten sich damals am Platzl an. Noch heute gibt es am Platzl zwei schlagende Verbindungen (die also noch den Brauch des Fechtens praktizieren).
Das Platzl am Abend
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Münchner Stadtgeschichten | |
Es handelt sich um eine Sammlung von Geschichten und Legenden, die alle irgendwie mit der Stadt zu tun haben. Geschichten, die man irgendwann mit den Worten „Hast Du gewusst, dass…“ beiläufig erzählen und andere zum Staunen bringen kann. |