MÜNCHNER  SPAZIERGÄNGE

STAND: JANUAR 2024


AM PLATZL


2. SEPTEMBER 2022

Das Platzl gehört zu den wenigen Ecken Münchens – neben dem Drei­fal­tig­keitsplatz  am Viktualienmarkt und dem Alten Hof  –, die erahnen las­sen, wie die Altstadt Münchens einst ausgesehen hat: Hier findet man selten gewordene Beispiele für Alt­münch­ner Bür­ger­häu­ser. Teilweise sind auch Reste aus dem Mittelalter erhalten. Hauptbauphasen wa­ren die Re­nais­sance und der Barock.

Am Platzl steht seit 1608 auch die berühmteste Se­hens­würdigkeit der Stadt, das Hof­bräu­haus. Das Neo­re­nais­sance-Gebäude sorgt für historisches Am­biente und alt­münch­nerischen Flair.

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Mein Spaziergang beginnt am Alten Rathaus, an dessen Ecke eine zauberhafte Mäd­chen­statue aus Bronze steht. Es handelt sich um die berühmte Julia, ein Geschenk ei­ner Spar­kasse aus Verona, Münchens Part­nerstadt. Oft hat das Mädchen Blumen in den Ar­men, eine Gabe von Menschen, die in Julia eine Für­bit­terin der Liebenden sehen.

Julia-Statue am Alten Rathaus

Von hier geht es weiter in die Sparkassenstraße. Man geht unter eine Brücke durch, die sich seit 1800 als Ver­bindung zwischen dem Alten Rathaus und dem Spar­kas­sen­ge­bäude spannt. Der Bau der Stadtsparkasse ist ein lang gestreckter malerischer Bau in deutscher Re­nais­san­ce. Besonders interessant sind die polygonalen Eck­erker an der Ecke zum Tal und zur Ledererstraße.

Nordwest-Fassade der Stadtsparkasse

Seitdem ich auf meinen Spaziegängen in den großen Münchner Friedhöfen den Architekten und Stadtbaurat Hans Grässel (1860-1939) kennengelernt habe, bin ich immer wieder ent­zückt, wenn ich auf eines seiner Bau­ten stoße.


Im Scholastikahaus an der Ecke zur Ledererstraße gastierte einst das le­gen­däre Restaurant Haxnbauer. Dort soll es die besten Schweinshaxen der Stadt gegeben haben. Weil aber der Pachtvertrag des Gastwirtes Peter Reichert im Oktober 2022 endet, wird ab No­vem­ber die Augustiner-Brauerei der neue Pächter sein.

Denkmal des Akademischen Gesangvereins am Scholastikahaus

Das 1914–1915 von Heilmann und Littmann nach Entwurf von Ludwig Ullmann errichtete Gebäude gehört dem Akademischen Ge­sang­verein München (AGV) – neben dem Lokal be­finden sich darin das Stu­den­ten­wohnheim, historische Gebäude des Vereins und Übungs­räume.



An der Ecke Sparkassen-/ Pfisterstraße fällt die nahezu vollständig mit Klet­terpflanzen bewach­se­ne Fas­sade des Restaurants Pfistermühle auf, wel­ches gehobene bayerische Küche bietet. Der Name erin­nert daran, dass sich hier die ehemalige Getreidemühle und Bäckerei der Hofpfisterei  (lat.: pistor = Bäcker) befand. Das Ge­bäu­de ist als Baudenkmal in die Bayerische Denkmalliste ein­ge­tra­gen. Die Energie zum Betrieb der Mühle wur­de von einem Bach ge­lie­fert, der damals an der Stelle der heutigen Sparkassenstraße floss.

Die Hofpfisterei, deren Ursprung bis in das Jahr 1331 zurückreicht, ist dafür bekannt, dass sie sich auf die Her­stellung von Backwaren mit ökologisch erzeugten Zutaten spezialisiert hat.

Restaurant Pfistermühle


Die Traditionsgeschäfte haben es in München schwer. Gleich am Anfang der Pfisterstraße befindet sich die klei­ne Werkstatt des Kürschnermeisters Fröhlich, der in München seine Pelze verkauft. Er blieb erfolgreich. Ende März 2023 wird er dennoch (aus Altersgründen) seinen Laden schließen.


In der Pfisterstraße reihen sich wunderschöne Alt­münch­ner Bürgerhäuser, klassizistisch und im Neo­re­nais­san­ce-Stil, mit malerischen Erkern, Giebel und plas­ti­schem Dekor.

Deutsche-Renaissance-Haus in der Pfisterstraße


Heute erschließen Passagen die einst verschlossenen Innenhöfe von einigen der prächtigen historischen Bauten. In einer von diesen, ein Durchgang von der Pfister- in die Falkenstraße, findet man unter anderem einen Juwelier, einen Musikladen und ein Atelier für erotische Fotos.

Musikladen in der Passage zur Maximilianstraße

In den privaten Foto-Shootings von „Darling fatale“ bekommt jedes Model seinen in­di­vi­duellen Auftritt und jeder Körper seine perfekte Pose.

Eine Abzweigung des Durchgangs führt in die stilvolle Orlando-Passage, die sich gleich am Anfang zu einer Art Patio erweitert, dessen herrliche rautenförmige Fliesen sowie einige Tischen des Restaurants Goldig im Boett­ners, ein elegantes Ambiente bilden.

Die Orlando-Passage


Das oben genannte italienische Lokal befindet sich seit Sommer 2020 in diesem 1896 vom Architekten Karl Stöhrer errichteten Haus. Die Bezeichnung „in Boettners“ beruft sich auf das 1901 von Alfred Boettner im Tal er­öffnete und 1905 in die Theatinerstraße gezogene Res­tau­rant. Damals galt es als eines der feinsten Restaurants Münchens. 2002 zog das Restaurant in die Pfis­ter­straße. Nachdem es Ende 2015 geschlossen wurde, übernahm Ende 2016 Alfons Schuhbeck das Lokal und eröffnete sein Restaurant „Schuhbecks Fine Dining“, welches unter Küchenchef Maurice Kriegs mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet wurde. Ende 2019 wurde das Restaurant wieder geschlossen. Im Sommer 2020 eröffnete hier schließlich das italienische Lokal „Goldig im Boettners“.

Eingang des Goldig-Restaurants in der Pfisterstraße

Das Ambiente des Lokals ist außerordentlich. Laut der Süddeutschen Zeitung „ serviert das Goldig im Boettners klassisch-mediterrane Küche zu meist erstaunlich mo­de­raten Preisen. Kulinarische Über­raschungen al­ler­dings sucht man vergebens“.

Auf der rechten Seite der Pfisterstraße gelangt man über die sogenannten Platzl-Gassen in einen weiteren wun­der­vol­len, für die Allgemeinheit erschlossenen In­nen­hof. Hier ließen zwei junge Kreative eine alte Hand­werks­tra­dition wieder aufleben: die Hutmacherei.

Innenhof (Platzl-Gassen)


Durch die Pfisterstraße kommt man direkt zum Orlando-Haus, welches nach dem Re­nais­sance-Komponist Orlando di Lasso benannt ist, dessen Wohnhaus früher dort stand. Der Komponist lebte von 1556 bis zu seinem Tod am 14. Juni 1594 in München.

Orlando-Haus

In der Architektursprache ausgedrückt: „Orlando-Haus, Mietshaus mit Gastronomie, fünf­geschossiger Eckbau mit rustikagerahmten Erdgeschossarkaden, Flacherker besetztem Süd­ri­salit, und Volutengiebeln, Gestaltung in Formen der deutschen Renaissance, erbaut von Jakob Heilmann und Max Littmann, 1898/99“ (Bayerisches Landesamt für Denk­mal­pflege)

Es gab Zeiten, da war das Platzl fest in der Hand des Sternekochs Alfons Schuhbeck. Er hatte hier sein Res­tau­rant Orlando, seine Südtiroler Stuben und das Lokal Münchner Kindl Stu­ben. Doch diese Ära endet jetzt end­gül­tig mit Schuhbecks Insolvenz und seiner Ver­ur­tei­lung wegen Steuerhinterziehung. Im Orlando-Haus wur­de inzwischen von be­kann­ten Münchner Gastronomen das „auf Aromavielfalt setzende“ VIP-Restaurant Or­nella eröffnet. Der Stil ist italienisch-japanisch.

Auch in den Südtiroler Stuben am Platzl gingen nach der Silvesternacht die Lichter aus. Zwei Jahrzehnte lang haben diese das Bild mitgeprägt, das München in der Gourmet-Welt abgab.

Schuhbecks (ehemalige) Südtiroler Stuben

Ähnliches gilt für die Münchner Kindl Stuben, bei denen der Eigentümer, die Bayerische Staatsoper, Ei­gen­bedarf angekündigt hat.

Münchner-Kindl-Stuben


Fast jedes Gebäude am Platzl ist ein Altmünchner Juwel. Beschreibende Fachwörter wie Putzbau mit Mu­schel­kalk, breiter Kastenerker, neugotische Muttergottesfigur, deutsche Renaissance, Ohrwaschl und stei­les Satteldach gäbe es in Hülle und Fülle. Ein Au­gen­schmaus für Architektur-Interessierte.

Häuser Platzl 1a, 2 und 3


An dieser Stelle sollte erwähnt werden, dass das Platzl bis in die 1970er-Jahre Rotlichtbezirk war. Mit der Ein­führung des Sperrbezirks mussten die Damen ausziehen. In der Innenstadt wurde die Prostitution ver­bo­ten. Schließlich wollte man sich zur Olympiade „gesittet“ präsentieren.


Das Hofbräuhaus – ein Neorenaissance-Gebäude

Was man bei jeder Führung erzählt bekommt, ist, dass Bayern im 16. Jahrhundert noch keine Biernation war. Man trank neben Wein zwar auch Bier, dieses kam al­ler­dings aus Norddeutschland. Und weil dieses Bier teu­er war, gab Herzog Wilhelm V.  am 27. September 1589 den Bau einer eigenen Brauerei in Auftrag. Das Hof­bräu­haus war geboren!

Die im Erdgeschoss gele­gene his­to­rische Schwemme ist das Herz­stück des Hof­bräu­hauses. Hier wurde frü­her das Hof­bräu­haus­bier gebraut. Heute finden unter den Kreuz­ge­wöl­ben bis zu 1300 Gäste Platz, an Tischen, die zum Teil seit dem Jahre 1897 hier stehen. Im Zentrum ist das Musik­podium, wo täglich die haus­eigenen Musik­kapel­len spielen. Zahlreiche weitere Räumlichkeiten stehen den Gästen zur Verfügung.

In der Schwemme

Genauer genommen gibt es in München zwei Hof­bräu­häuser: das Stammhaus am Platzl – und den Hof­bräu­kel­ler in Haidhausen. Das ist darauf zu­rück­zu­führen, dass München im 19. Jahr­hun­dert schon ein beliebtes Ausflugs- und Urlaubsziel war. Prinzregent Luit­pold be­schloss deshalb, den Gastraum zu ver­grö­ßern. Die Brauanlagen wurden an die Innere Wie­ner Straße verlegt, in den neu gebauten Hofbräukeller. Am 2. September 1896 wurde dann das alte Gebäude am Platzl abgerissen, das neue am 22. Sep­tem­ber 1897 eröffnet.

Heutzutage wird auch im Hofbräukeller nicht mehr ge­braut: 1988 zog die Brauerei nach Riem in eine mo­der­ne und größere Anlage um.


BUCHTIPP:
Das Hofbräuhaus-Kochbuch
In diesem Kochbuch werden 70 Rezepte aus der Hofbräuhaus- Küche vorgestellt. Der Freund der zünftigen bayerischen Küche wird mit dieser Sammlung sicherlich seine kulinarische Freude haben!


Hier im Hofbräuhaus hatte übrigens Alois Hingerl, besser bekannt als Engel Aloisius, seinen Stammtisch. Für Nichtmünchner: Es handelt sich um den Protagonisten der Kurzgeschichte „Der Münchner im Himmel“, eine humoristische Satire des bayerischen Schriftstellers Lud­wig Thoma. In ihr behandelt Thoma mit einem lie­be­vollen Augenzwinkern das Klischee des ty­pisch Ba­ye­ri­schen, insbesondere des Münchner Grantlers. Und es war im Hofbräuhaus, wo Ludwig Thoma seinen Dienst­mann Aloisius erfand.

Engel Aloisius

Im folgenden von Traudl und Walter Reiner gezeichneten und von Adolf Gondrell vorgetragenen Zei­chen­trickfilm ist die ganze Geschichte zu erleben.


Laut, lauter, Hofbräuhaus. Die alte bayerische Ge­müt­lichkeit ist zu einem Massenbetrieb für Touristen ge­wor­den, an manchen Tagen ist der Geräuschpegel der­art hoch, dass man vor lauter Menschen die eigene Stimme kaum hören kann.

Man würde es kaum glauben: Unter uralten Kas­ta­nien­bäu­men, umfasst von den historischen Mauern des Hof­bräuhauses, befindet sich ein urge­mütlicher Bier­garten. Er hat einen ganz besonderen Charme. Hier gibt es sie noch, die münchner Gemütlichkeit. Und die Lautstärke bleibt, obwohl fast 400 Gäste im Biergarten Platz finden, erstaunlich niedrig.

Im Hofbräuhaus-Biergarten

Das bekannteste Lied übers Hofbräuhaus stammt übrigens von einem „Preußen“. Das bis heute als Stim­mungs- und Trinklied weltweit bekannte „In München steht ein Hofbräuhaus“ wurde 1935 vom Berliner Kom­po­nis­ten Wilhelm Gabriel komponiert. Laut einer Legende soll Gabriel die Melodie im Berliner Café am Zoo eingefallen sein.

Weißwurstfrühstück


Zahlreiche berühmte Gäste besuchten das Hofbräuhaus, unter ihnen Wolfgang Amadeus Mozart, die Kaiserin Elisabeth (Sisi) und Lenin, der sich während seiner Emigration einige Jahre in München aufhielt. Seine Ehefrau Nadeshda soll gesagt haben: „Besonders gern erinnern wir uns an das Hofbräuhaus, wo das gute Bier alle Klassenunterschiede verwischt.



Am 24. Februar 1920 wurde im großen Festsaal des Hofbräuhauses die Na­tio­nal­sozia­lis­tische Deutsche Ar­bei­terpartei (NSDAP) gegründet. Hitler und seine Ge­folgs­leute ver­öf­fent­lichten ihr 25-Punk­te-Par­tei­programm, in dem sie unter anderem die „Auf­he­bung des Versailler Friedensvertrages“ und der „Entzug der deutschen Staats­bür­ger­schaft von Juden“ forderten.

Der große Festsaal im Hofbräuhaus


Wie bei allen Tourismus-Hotspots hat sich auch am Platzl einiges verändert – weg vom Tradionellen, hin zum reinen Kommerz. Vor dem Orlando-Haus drehte einst Karl Valentin seine ersten Filme, im Theater am Platzl sang Weiß Ferdl für sechs Mark und zwei Freibier Gage pro Abend seine Spottlieder. Die dicke Bally Prell gab die „Schönheitskönigin von Schneizlreuth“. Der Volks­schau­spieler Michl Lang verkörperte Rollen hu­mor­voll-spitz­bübischer Charaktere.

Heute gibt es neben dem Wirtshaus Ayinger und dem Augustiner am Platzl  ein japanisches Restaurant, das Selbstbedienungscafé Starbucks, der Dubliner Irish Pub, ein Pommesladen, die Gelateria Garda  und ein FC Bayern Store.

Augustiner am Platzl

1992 wurde die Volksbühne „Platzl“ geschlossen. Seit 2002 befindet sich hier (gegenüber dem Augustiner am Platzl) das Hard Rock Cafe Munich, eine Filiale der gleichnamigen amerikanischen Gastronomie-Kette.

Im Hard Rock Café

Pommesfreunde


Der südliche Teil der Orlandostraße ist ein einziger Sou­venir­laden, wo sich Kitsch an Originellem reiht und Tou­risten tief in die Tasche greifen müssen. Weiß-blaue Magnete, Bierkrüge, Schlüsselanhän­ger, Filzhüte, An­sichts­karten in allen Größen.

De Orlando-Straße Richtung Süden

Was für die Souvenirläden im Schwarzwald die Ku­ckucks­uhren sind, das sind in Bayern die Bierkrüge: Glas- oder Steinkrüge, mit oder ohne Zinndeckel, mit Bayern-Raute oder Wappen, zylindrisch oder konisch, mit einem Relief versehen oder mit Aufschriften, mit sze­ni­schen Darstellungen bedruckt oder bemalt.

Freilich mach sich das Fehlen der russischen und der chinesischen Touristen auf das Geschäft bemerkbar. Nichtsdestotrotz war es bisher ein guter Sommer. Eu­ro­päische und amerikanische Gäste konnten die Lücke offenbar gut füllen.

Ob das bayerisch-traditionelle Ambiente dazu inspiriert? Jedenfalls befinden am Platzl noch immer eine Reihe von Studentenverbindungen (sogenannte Burschenschaften). Viele von ihnen, beispielsweise das „Corps Bavaria“ in dessen Reihen sich Studenten der Ludwig-Maximilians-Universität finden, entstanden Mitte des 19. Jahrhunderts und siedelten sich damals am Platzl an. Noch heute gibt es am Platzl zwei schlagende Ver­bin­dungen (die also noch den Brauch des Fechtens praktizieren).

Das Platzl am Abend


BUCHTIPP:
Münchner Stadtgeschichten
Es handelt sich um eine Sammlung von Geschichten und Legenden, die alle irgendwie mit der Stadt zu tun haben. Geschichten, die man irgendwann mit den Worten „Hast Du gewusst, dass…“ beiläufig erzählen und andere zum Staunen bringen kann.