IM WESTFRIEDHOF
16. AUGUST 2022:
Ein herrlicher Sommertag! Ideal für einen Spaziergang im großen und sehr gepflegten und grünen Münchner Westfriedhof. Ich bin mit der U-Bahn (U1) angereist und bereits der U-Bahnhof Westfriedhof sorgt mit einer außergewöhnlichen Beleuchtung für ein ästhetisches Erlebnis sondergleichen. Elf überdimensionale Lampen lassen den Bahnsteig in den Farben blau, rot und gelb erstrahlen. Die Lichtinstallation stammt vom 2019 verstorbenen Lichtdesigner Ingo Maurer.
Ich komme freilich nicht her, um Gräber von geliebten Verstorbenen zu besuchen oder um über die Vergänglichkeit des Lebens nachzudenken. Heutzutage sind Friedhöfe längst zu parkähnlichen grünen Oasen geworden, und die vermoosten Kreuze, die Grabdenkmäler, Steinsarkophagen und Engeln haben einen musealen Charakter, der viel erzählt über die Zeit, in der sie entstanden sind.
Wahrzeichen des Westfriedhofs sind der Kuppelbau der Aussegnungshalle und der große Glockenturm und . Der Erbauer, der deutsche Architekt und Baubeamter Hans Grässel orientierte sich bei der Gestaltung der Aussegnungshalle an frühchristlichen Basiliken.
Aussegnungshalle und Glockenturm
Als konkretes Vorbild diente ihm das Mausoleum Santa Constanza in Rom, das Kaiser Konstantin für seine Töchter Constantina und Helena errichten ließ. Besonders beeindruckend sind die prächtige Stuckarbeit an der Kuppeldecke der Trauerhalle und die Krypta, die sich unter dieser befindet.
In der Aussegnungshalle
Es ist wohl kaum zu verleugnen, dass sich die Aussegnungshalle vom Vorbild in Rom inspirieren assen hat.
Mausoleum von Santa Costanza
Nördlich der Aussegnungshalle befindet sich ein großes Gartenparterre, dessen Zentrum von einer überlebensgroßen Kreuzigungsgruppe des Bildhauers Thomas Buscher beherrscht wird. Rund um dieses Parterre haben sich die großen bürgerlichen Familien aus der Jahrhundertwende mit imposanten Denkmälern verewigt. In diesem Areal vor der Aussegnungshalle („Am Forum“ genannt) findet man die auffälligsten und prächtigsten Steinskulpturen.
Kreuzigungsgruppe (Thomas Buscher)
Die Statue einer Trauernden wacht über eine Grabstätte.
Das monumentale Grab der Familie Krause
Der Architekt und Bauunternehmer Bernhard Borst ist die erste Persönlichkeit, von der ich bereits etwas wusste. Bekannt ist er vor allem wegen der Borstei, einer denkmalgeschützten, zwischen 1924 und 1929 erbauten Wohnsiedlung im Stadtviertel Moosach, ganz in der Nähe des Westfriedhofs übrigens. Mit dieser Siedlung verwirklichte Bernhard Borst eines seiner Ideale. Die Borstei ist in der Tat ein Besuch wert.
Das Grab von Bernhard Borst
Weitere interessante Gräber findet man an im Bereich „An der Friedhofsmauer“, etwas genauer: an der Mauer links, wie es auf dem Friedhofsplan gekennzeichnet ist.
Als Laie in Sachen Sepulkralkunst tut man sich schwer, die Bedeutung mancher Grabmäler zu interpretieren. Die Grabmalkultur der späten Gründerzeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts war von einer außerordentlichen Repräsentationsfreude und Monumentalität gekennzeichnet. Stilistischer und symbolischer Eklektizismus und dekorative Fülle waren Mittel der Repräsentation und Demonstration des sozialen Status.
Ich muss zugeben, dass manch ein Grab an der durch Efeu zugewachsenen Mauer durchaus eine Wirkung bei mir zeigt. Zu sehen, wie sich die Natur (Moose, Kletterpflanzen, Zerfall) ihren Raum wieder genommen hat, rückt den Begriff „Zeit“ unwillkürlich ins Bewusstsein, sodass es ein „memento-mori“-Effekt entfacht. Die Aussage mancher symbolischen Elemente kann diese Wirkung auch noch verstärken. Beispielsweise wenn man weiß, dass eine abgebrochene Säule für eine zu früh verstorbene Person steht.
Wenn man die Mauer entlang geht, kommt man am imposanten Mausoleum des Malerfürsten Franz von Lenbach (1836–1904) vorbei. Malerfürsten, das waren die erfolgreichsten Salonmaler der Gründerzeit, die in den 1870er- und 1880er-Jahren in München den bürgerlichen Geschmack beeinflussten. Die großen Konkurrenten von Franz von Lenbach waren August von Kaulbach und Franz von Stuck. Die Renovierung des Ehrengrabs Lenbachs ließ sich die Stadt einiges kosten. Sie dauerte von 2018 fast vier Jahre lang – Gesamtkosten: 75 500 Euro.
Am Ende der Mauer angekommen, gehe ich zunächst die Hauptallee entlang in Richtung Norden. Die Gräber selbst werden zunehmend unansehnlich, die üblichen normierten, von der Friedhofsverwaltung vorgeschriebenen Formen wecken kaum mein Interesse. Dafür übt der parkähnliche Charakter dieser Ecke des Friedhofs eine fast erheiternde Wirkung auf mich aus. Das schönste Areal ist ohne Zweifel der sogenannte „Lärchenhain„.
Die (spärlichen) Lärchen lassen irgendwie an eine Waldlichtung denken, die vom Spätnachmittagslicht in kräftige Farmen getaucht wird. Dasselbe Licht lässt die Lindenallee, die durch den Lärchenhain führt, aufleuchten.
Irgendwie hangele ich mich durch in Richtung Norden bis zum Gräberfeld 143. Denn dort liegt die ehemalige persische Kaiserin Soraya begraben. Eigentlich sollte ich nicht von Persien sprechen, denn dieser ist nur der bis 1935 international verwendete Landesname des Iran. Die Jüngeren unter den Lesern habe wohl kaum von Soraya gehört. Vielleicht von Farah Diba, der Frau des ehemaligen Schah Reza Pahlevi. Die Prinzessin Soraya Esfandiary-Bakhtiary (1932–2001), die hier auf dem Münchner Westfriedhof ruht, war sieben Jahre lang, von 1951 bis 1958 die Ehefrau des Schahs Mohammad Reza Pahlavi von Iran. die Kaiserin von Persien. Für die Regenbogenpresse war sie die „Deutsche auf dem Pfauenthron“, weil ihre Mutter eine Berlinerin war. Dann verstieß der Schah sie, weil sie ihm keine Kinder schenken konnte. Das Schicksal der Ex-Kaiserin rührte damals Millionen von Menschen. Die „Märchenprinzessin“ lebte auch kurzzeitig in München. Und hier fand sie schließlich ihre letzte Ruhe.
Das Grab von Soraya
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Auf dem Rückweg komme ich an einem großen Steinkreis aus Granit vorbei. Es beeindruckt mich sehr wegen der Texte, die in Handschrift eingraviert sind. Es handelt sich um ein Projekt der Künstlerin Karolin Bräg. Sie hatte ein Jahr lang Gespräche mit Menschen geführt, die die Grabstätte eines Verstorbenen besuchten. Aus diesen Gesprächen entnahm sie einzelne Zitate und Satzfragmente für den Steinkreis.
Etwas weiter südlich liegt das Ehrenmal der Bayerischen Polizei für die 63 bayerischen Polizeibeamten, die seit Ende des Zweiten Weltkriegs in Ausübung ihres Dienstes getötet wurden.
In unmittelbarer Nähe finde ich das Grab des von den Münchnern heiß geliebten Väterchen Timofej, der im heutigen Olympiapark aus dem Kriegsschutt eine kleine Kirche, die Ost-West-Friedenskirche, gebaut hatte. Die Kirche sollte den Olympia-Bauten weichen. Doch die Münchner zogen nicht mit. Es hagelte Proteste, und er durfte bleiben, denn Gott und die Münchner waren auf seiner Seite.
Der Spaziergang durch den Westfriedhof wäre nicht vollständig, wenn man nicht die im Jahr 2015 angelegten Mosaikgärten besuchte, eine Gemeinschaftsanlage für Urnen mit Dauerbepflanzung. Acht verschiedene Urnengrabstätten gibt es hier. Eingebettet in den zwei 7 Meter langen Glasmosaiken und in einer Reihe von Stelen finden Urnen eine ganz besondere letzte Ruhestätte.
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Die Münchner Friedhöfe: Wegweiser zu Orten der Erinnerung | |
Münchens Friedhöfe sind wunderbare Orte für stimmungsvolle Spaziergänge. Dieser Band stellt die schönsten Rundgänge vor – vom Alten Südfriedhof mit seinen Grabskulpturen, dem zauberhaften Friedhof in Bogenhausen mit vielen prominenten Grabstätten über Nord- und Ostfriedhof bis zum Waldfriedhof. | |